Sammelung von Rechtssprechungen in Bücher im Regal

Selbstbestimmungsgesetz: von Experten begrüßt und kritisiert

Öffentliche Anhörung des Familienausschusses am 28.11.2023

Am 28.11.2023 fand eine öffentliche Anhörung des Ausschusses Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften (BT-Drucks. 20/9049) statt. Es nahmen folgende Sachverständige teil:

  • Nele Allenberg vom Deutschen Institut für Menschenrechte
  • Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans
  • Professorin Bettina Heiderhoff, Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Familienrecht der Universität Münster
  • Richard Köhler von Transgender Europe
  • Anna Katharina Mangold, Professorin für Europarecht an der Universität Flensburg
  • Henrike Ostwald vom Deutschen Frauenrat
  • Professorin Sibylle Winter von der Charité-Universitätsmedizin in Berlin
  • Professorin Judith Froese, Universität Konstanz
  • Publizist Till Randolf Amelung
  • Professorin Aglaja Stirn, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
  • Professor Bernd Ahrbeck von der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin

Die unterschiedlichen Äußerungen machten deutlich: Einerseits wird die geplante Gesetzesänderung begrüßt, die Expertinnen und Experten fordern aber zugleich Verbesserungen. Andererseits wurde der Gesetzentwurf aber auch stark kritisiert.

 

Gesetzesänderung wird weitestgehend begrüßt

Nele Allenberg bezeichnet den Gesetzentwurf als „verfassungsrechtlich elementares Vorhaben“. Sie wertete es positiv, dass Minderjährige ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können, was der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen entspreche. Allerdings empfahl sie, die Altersgrenze und die Zustimmung der Sorgeberechtigten zu überdenken, weil dies die subjektiven Kinderrechte einschränke. Die Regelung, dass im Konfliktfall das Familiengericht die Zustimmung der Eltern ersetzt, birgt aus ihrer Sicht die Gefahr, dass auf ein Gutachten zurückgegriffen wird. Eine Fremdbegutachtung sei jedoch zu vermeiden.

Auch Kalle Hümpfner begrüßte den Gesetzentwurf, auch wenn er aus seiner Sicht hinter den Erwartungen zurückbleibt. Er regte an, auf Anmelde- und Sperrfristen für die Erklärung zu verzichten und die Änderung des Geschlechtseintrags für alle über 14-Jährigen zu ermöglichen, auch für solche, für die ein gesetzlicher Betreuer bestellt wurde. Hümpfner forderte ein klares Bekenntnis zum Schutz vor Diskriminierung.

Professorin Bettina Heiderhoff, Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Familienrecht der Universität Münster, begrüßte die Möglichkeit, den eigenen Geschlechtseintrag privatautonom bestimmen zu können. Sie kritisierte, dass Transfrauen derzeit nicht die zweite Elternstelle eines Kindes einnehmen könnten, das sie als heterosexueller Mann selbst gezeugt hätten.

Anna Katharina Mangold betonte, dass das Recht auf Geschlechtsbestimmung ein Menschenrecht sei. Sie empfahl, die Regelung im Gesetzentwurf zu streichen, wonach nur solche Ausländer den Geschlechtseintrag und den Vornamen ändern lassen können, die ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder eine vergleichbare Aufenthaltserlaubnis haben, sich rechtmäßig im Inland aufhalten oder eine Blaue Karte EU besitzen.

 

Schutzvorkehrungen gegen Missbrauch gefordert

Judith Froese stellte fest, dass zwingender Reformbedarf nicht bestehe. Für trans- und intergeschlechtliche Personen verschlechtere sich die rechtliche Situation gegenüber der jetzigen Rechtslage teilweise. Nachbesserungsbedarf sah Froese auch beim Schutz Minderjähriger, für die stärkere Schutzvorkehrungen getroffen werden sollten als für volljährige Personen.

Fehlende Schutzvorkehrungen gegen Missbrauch monierte auch Till Randolf Amelung. Wenn Geschlechtseintrag und Vornamen ohne Exploration der Handlungsgründe geändert werden könnten, könne Missbrauch nicht ausgeschlossen werden, vulnerable Gruppen hätten unter Umständen keinen Schutz. Er empfahl eine verpflichtende Beratung, die eine Schutzfunktion hätte und für vulnerable Personen eine Hilfe sein könnte.

Richard Köhler nannte den Entwurf einen wichtigen Schritt zu Mündigkeit und Selbstbestimmung. Frauenrechte, Frauenschutzräume und das Kindeswohl würden nicht gefährdet. Debatten über möglichen Missbrauch seien Nebelkerzen, sagte Köhler. Auch Henrike Ostwald wandte sich dagegen, dass „vermeintliche Frauenrechte“ gegen den Entwurf vorgebracht würden. Frauen-Schutzräume seien durch das Selbstbestimmungsgesetz nicht in Gefahr.

 

Hohes Risikopotenzial für Kinder?

Professorin Sibylle Winter hält es für richtig, dass keine Gutachten mehr verlangt würden. Bei Erklärungen durch Minderjährige sprach sie sich für ein „persönliches Erscheinen“ beim Standesamt aus. Bei Nichtzustimmung der Eltern könne ein vom Familiengericht angeregter Beratungsprozess dazu beitragen, den weiteren Weg als Familie zu gehen und das Kindeswohl nicht zu gefährden.

Professorin Aglaja Stirn hingegen bewertete das Risikopotenzial des Gesetzes höher als den Gewinn. Das Kindeswohl könne auf der Strecke bleiben. Minderjährige seien meist nicht in der Lage, Bedeutung, Tragweite und Folgen einer solchen Entscheidung einschätzen zu können. Der Gruppendruck mache auch den Rückweg schwierig.

Professor Bernd Ahrbeck nannte 14-Jährige hoffnungslos überfordert, eine solche Entscheidung zu treffen. Kinder versöhnten sich wieder mit dem ursprünglichen Geschlecht, der Ausgang der Entwicklung sei ungewiss. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass Persönlichkeitsrechte einer fachlichen Begutachtung nicht entgegenstünden.

 

Quelle: Heute im Bundestag (hib) Nr. 892/2023 v. 29.11.2023

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