Sammelung von Rechtssprechungen in Bücher im Regal

Familienrecht im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien

Unter anderem: "Verantwortungsgemeinschaft“, Namensrecht, Abstammungsrecht

Am gestrigen Mittwoch, 24.11.2021, veröffentlichte die Ampelkoalition ihren Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen: Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“. In diesem findet sich ein umfangreicher Abschnitt zum Familien- und Personenrecht. Obwohl einige Formulierungen zu angestrebten familienrechtlichen Veränderungen noch unkonkret bzw. unklar sind, enthält der Vertrag Bemerkenswertes. Wir fassen die wichtigsten Punkte für Sie zusammen:

 

Ehe und „Verantwortungsgemeinschaften“

Mit der „Verantwortungsgemeinschaft“ (Rz. 3377 ff.) möchte die Ampelkoalition jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen. Die neue Regierung wird zudem dafür eintreten, dass Regenbogenfamilien und in der EU geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen/Lebenspartnerschaften in allen Mitgliedstaaten mit allen Rechtsfolgen anerkannt werden (Rz. 4023).

 

Reform des Abstammungs- und Adoptionsrechts

Laut Koalitionsvertrag soll außerdem das Abstammungsrecht reformiert werden (Rz. 3383 ff.): Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind dann automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist.

Auch außerhalb der Ehe soll die Elternschaftsanerkennung unabhängig vom Geschlecht der anerkennenden Person oder von einem Scheidungsverfahren möglich werden (Rz. 3387 ff.). Geplant ist die Einführung eines statusunabhängigen Feststellungsverfahrens, in dem ein Kind seine Abstammung gerichtlich klären lassen kann ohne zugleich die rechtliche Elternschaft anfechten zu müssen. Das Samenspenderregister möchte die Ampelkoalition auch für bisherige Fälle, private Samenspenden und Embryonenspenden öffnen.

Die Ehe soll zudem künftig nicht mehr ausschlaggebendes Kriterium bei der Adoption minderjähriger Kinder sein.

 

Reform des Sorge- und Umgangsrechts

Die Ampelkoalition plant zudem eine Reform des § 1626a II BGB (Rz. 3411 ff.): Unverheirateten Vätern soll es in den Fällen, in denen die Eltern einen gemeinsamen Wohnsitz haben, möglich werden, durch einseitige Erklärung das gemeinsame Sorgerecht zu erlangen. Widerspricht die Mutter, soll das Familiengericht über die gemeinsame Sorge entscheiden.

Das „kleine Sorgerecht“ für soziale Eltern soll ausgeweitet werden und zu einem eigenen Rechtsinstitut weiterentwickelt werden, das im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern auf bis zu zwei weitere Erwachsene übertragen werden kann (Rz. 3375 ff.). Vereinbarungen zu rechtlicher Elternschaft, elterlicher Sorge, Umgangsrecht und Unterhalt sollen künftig schon vor der Empfängnis möglich werden.

Die Ampelparteien möchten die „partnerschaftliche Betreuung der Kinder nach der Trennung fördern“ (3394 ff.). Dafür sollen die umgangs- und betreuungsbedingten Mehrbelastungen im Sozial- und Steuerrecht besser berücksichtigt werden. Im Unterhaltsrecht sollen die Betreuungsanteile vor und nach der Scheidung künftig besser berücksichtigt werden, ohne das Existenzminimum des Kindes zu gefährden.

Bei der Erziehungs-, sowie Trennungs- und Konfliktberatung soll künftig insbesondere das Wechselmodell in den Mittelpunkt gestellt werden.

Kindern soll außerdem ein eigenes Recht auf Umgang mit den Großeltern und Geschwistern zustehen.

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Kindeswohl und Wechselmodell

Folge 1 des FamRZ-Podcasts "familiensachen"

Wie wirkt sich die Aufteilung der Betreuung auf beide Elternteile auf das Kindeswohl aus? Genau das hat Anja Steinbach, Professorin für Soziologie, nun in ihrer FAMOD-Studie untersucht. Als Gast im Podcast spricht sie über erste Ergebnisse.

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Reform des Namensrechts

Das Namensrecht soll liberalisiert werden, z. B. durch Einführung echter Doppelnamen (Rz. 3403 ff.).

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Das deutsche Namensrecht

Folge 2 des FamRZ-Podcasts "familiensachen"

Wir reden mit Namensrechts-Experten Anatol Dutta über Geschichte und Status Quo des Namensrechts, über seinen präferierten Standort für namensrechtliche Regelungen, Funktionen des Namensrechts, (echte) Doppelnamen, das Vornamensrecht und darüber, was sich seiner Meinung nach im Namensrecht ändern muss.

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Fortbildungen für Familienrichterinnen und Familienrichter

Die Parteien nehmen sich mit dem Koalitionsvertrag zudem vor, den lange diskutierten Fortbildungsanspruch für Familienrichterinnen und Familienrichter gesetzlich zu verankern.

Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt

Die Istanbul-Konvention soll auch im digitalen Raum vorbehaltlos umgesetzt werden. Wenn häusliche Gewalt festgestellt wird, sei dies in einem Umgangsverfahren zwingend zu berücksichtigen (Rz. 3408). Weiter heißt es im Koalitionsvertrag (ab Rz. 3837):

Wir werden das Recht auf Schutz vor Gewalt für jede Frau und ihre Kinder absichern und einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen. Wir bauen das Hilfesystem entsprechend bedarfsgerecht aus. Der Bund beteiligt sich an der Regelfinanzierung. Dies gilt auch für bedarfsgerechte Unterstützung und Zufluchtsräume für männliche Opfer von Partnerschaftsgewalt. Wir berücksichtigen die Bedarfe vulnerabler Gruppen wie Frauen mit Behinderung oder geflüchteter Frauen sowie queerer Menschen. Präventive Täterarbeit bauen wir aus.

Man wünsche sich außerdem „ein starkes Bündnis gegen Sexismus“.

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Gewalt gegen Frauen: Podcast

Neue Folge des FamRZ-Podcasts "familiensachen" zum Thema "Istanbul-Konvention"

Gast ist Oberstaatsanwältin Sabine Kräuter-Stockton. Als Mitglied in der Expertengruppe GREVIO des Europarates überprüft sie die Umsetzung der Istanbul-Konvention durch die Staaten, die diese ratifiziert haben.

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Familiengerichtliches Verfahren

Zum einen möchte die Koalition in familiengerichtlichen Verfahren den Kinderschutz und das Prinzip der Mündlichkeit der Verhandlungen stärken. Offenbar soll außerdem die Nichtzulassungsbeschwerde eingeführt werden, zumindest heißt es dazu im Koalitionsvertrag: „Die Hürden für die Nichtzulassungsbeschwerde werden wir senken.“ (Rz. 3407)

Man wolle außerdem für eine „kindgerechte Justiz und Verwaltung, die Kindern Gehör schenkt“ (Rz. 3608) sorgen.

 

Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz

Die gescheiterten Pläne der letzten Regierung zur Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz möchte die die nächste Regierung umsetzen (Rz. 3270 ff.). Man wolle sich dabei maßgeblich an den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention orientieren.

 

Kindergrundsicherung mit einkommensunabhängigem Garantiebetrag

In der "Kindergrundsicherung" möchten die Ampel-Parteien laut Koalitionsvertrag finanzielle Unterstützungen – wie Kindergeld, Leistungen aus SGBII/XII für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets, sowie den Kinderzuschlag – in einer einfachen, automatisiert berechnet und ausgezahlten Förderleistung bündeln. Dabei soll diese Kindergrundsicherung aus zwei Komponenten bestehen: Einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der für alle Kinder und Jugendlichen gleich hoch ist, und einem vom Elterneinkommen abhängigen, gestaffelten Zusatzbetrag. Zudem heißt es im Vertrag: „Bei der Leistungsbündelung prüfen wir Wechselwirkungen mit anderen Leistungen und stellen sicher, dass sich die Erwerbsarbeit für Eltern lohnt.“

 

Queerfeindlichkeit entgegenwirken

Regenbogenfamilien sollen in der Familienpolitik stärker verankert werden. Es soll ein ressortübergreifender Nationaler Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt erarbeitet und finanziell unterlegt umgesetzt werden (Rz. 3398 ff.). In dem Aktionsplan finden sich folgende Maßnahmen:

  • Unterstützung der bei der Aufklärung an Schulen und in der Jugendarbeit,
  • Angebote für ältere LSBTI fördern,
  • in der Arbeitswelt das Diversity-Management voranbringen, insbesondere im Mittelstand und im öffentlichen Dienst.

 

Selbstbestimmungsgesetz ersetzt Transsexuellengesetz

Die Ampelkoalition möchte außerdem das Transsexuellengesetz abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen (Rz. 4010 ff.). Dazu würden dann gehören:

  • ein Verfahren beim Standesamt, das Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft möglich macht,
  • ein erweitertes und sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot,
  • eine Stärkung der Aufklärungs- und Beratungsangebote.

 

Geschlechtsangleichende Behandlungen

Die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen müssen bald vollständig von der GKV übernommen werden, so die Ampelparteien (Rz. 4014 ff.). Im Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung sollen Umgehungsmöglichkeiten beseitigt werden.

Die Strafausnahmen in § 5 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutz vor Konversionsbehandlungen sollen zudem aufgehoben werden und es soll ein vollständiges Verbot auch von Konversionsbehandlungen an Erwachsenen geprüft werden.

 

Reproduktive Selbstbestimmung

Künstliche Befruchtung wird diskriminierungsfrei auch bei heterologer Insemination, unabhängig von medizinischer Indikation, Familienstand und sexueller Identität förderfähig sein (Rz. 3892 ff.).

Weiter heißt es:

Die Beschränkungen für Alter und Behandlungszyklen werden wir überprüfen. Der Bund übernimmt 25 Prozent der Kosten unabhängig von einer Landesbeteiligung. Sodann planen wir, zu einer vollständigen Übernahme der Kosten zurückzukehren. Die Kosten der Präimplantationsdiagnostik werden übernommen. Wir stellen klar, dass Embryonenspenden im Vorkernstadium legal sind und lassen den „elektiven Single Embryo Transfer“ zu. (Rz. 3894 ff.)

Es soll eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin eingesetzt werden, die Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen wird.

 

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