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Anwendung des islamischen Erbrechts durch Griechenland stellt Diskriminierung dar

EuGHMR, Urteil v. 19.12.2018 – Rs. M.S. / Griechenland, Beschwerde Nr. 20452/14

Die Anwendung der Grundsätze des islamischen Erbrechts auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen gegen den Willen des Erblassers, einen griechischen Angehörigen der muslimischen Minderheit, stellt eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Es liegt ein Verstoß gegen Art. 14 (Diskriminierungsverbot) der EMRK i.V. mit Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls der EMRK (Schutz des Eigentums) vor. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschrechte am 19.12.2018 einstimmig entschieden (M.S. / Griechenland, Nr. 20452/14).

 

Gerichte sahen Anwendbarkeit des islamischen Rechts

Der Erblasser ist griechischer Staatsbürger, der zur muslimischen Minderheit gehört, und verstorbener Ehemann der Beschwerdeführerin. Er vermachte mit seinem auf Grundlage des griechischen Zivilrechts verfassten Testament sein ganzes Vermögen seiner Frau. Die Gerichte sahen die letztwillige Verfügung als unwirksam an. Das auf den Fall anwendbare Recht sei das islamische Erbrecht der Scharia, weil aufgrund des Vertrags von Sèvres (1920) und des Vertrags von Lausanne (1923) in Griechenland für Griechen muslimischen Glaubens Scharia-Recht gelte.

Die Beschwerdeführerin, die dadurch ¾ ihres Erbes verlor, reichte Beschwerde beim EuGHMR ein, weil sie eine Diskriminierung aufgrund ihrer Religion erfahren habe. Wäre ihr Ehemann nicht muslimischen Glaubens gewesen, hätte sie das gesamte Erbe erhalten.

 

Griechische Regelung ist diskriminierend

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführerin als Begünstigte eines Testaments, das von einem griechischen Erblasser muslimischen Glaubens nach dem griechischen Zivilgesetzbuch erstellt wurde, anders behandelt wurde als ein Begünstigter eines Testaments, das von einem griechischen Erblasser ohne muslimischen Glauben erstellt wurde. Dies sei nicht gerechtfertigt.

Unter anderem verpflichte die Religionsfreiheit die Vertragsstaaten nicht zur Schaffung eines besonderen rechtlichen Rahmens, um den Religionsgemeinschaften einen besonderen Status und
bestimmte Privilegien zu verleihen. Ein Staat, der einen solchen Status geschaffen hat, müsse jedoch sicherstellen, dass dieser nicht zu Diskriminierungen führe. Angehörigen einer religiösen Minderheit zu verwehren, sich frei für die Anwendung der Rechtsordnung des jeweiligen Landes zu entscheiden und davon zu profitieren, komme nicht nur einer diskriminierenden Behandlung gleich. Ein solches Vorgehen stelle auch eine Verletzung eines Rechts grundlegender Bedeutung im Bereich des Minderheitenschutzes dar, nämlich des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.

 

Scharia-Recht gegen Willen anzuwenden ist hochproblematisch

Schließlich stellte der Gerichtshof auch fest, dass Griechenland das einzige Land in Europa ist, das bis dato islamisches Recht bei einem Teil seiner Bürger gegen deren Willen angewandt hat. Das sei besonders problematisch im vorliegenden Fall, weil die Anwendung des Scharia-Rechts zu einer Situation geführt habe, die die individuellen Rechte der Witwe verletzte. Nach den Regeln des Zivilrechts hätte sie das Vermögen ihres Mannes geerbt. Die gegenwärtige Situation hatten weder sie noch ihr Mann beabsichtigt.

 

Zum Weiterlesen:

Nadjma Yassari: "Das Eheverständnis im Islam und in ausgewählten islamischen Ländern" in FamRZ 2011, 1 (FamRZ-digital | FamRZ bei juris)

England und Wales: Scharia-Ehe aufhebbar statt unwirksam - High Court of Justice, Beschluss v. 31.7.2018, Akhter v Khan (Rev 3) [2018] EWFC 54

Anwendung von Scharia-Scheidungsrecht in Deutschland - OLG München, Beschluss v. 29.06.2016 – 34 Wx 146/14

Rom-III-Verordnung nicht auf Privatscheidungen anwendbar - Urteil des EuGH in der Rechtssache C-372/16

 

Quelle: Pressemitteilung des EuGHMR von 19.12.2018

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