Sammelung von Rechtssprechungen in Bücher im Regal

Übersicht: Kindesschutz-Anträge gegen Corona-Schutzmaßnahmen an Schulen

Alle wichtigen Entscheidungen auf einen Blick

Seit April 2021 beschäftigten zahlreiche Anträge von Eltern gegen die von den Ländern bzw. Landkreisen getroffenen Regelungen dazu, unter welchen Bedingungen Schulkinder am Präsenzunterricht teilnehmen dürfen, die Gerichte. Diese beruhen offenbar auf einem im Internet von einem pensionierten Familienrichter zur Verfügung gestellten Musterantrag. Mit diesem Artikel fassen wir den Vorgang noch einmal für Sie zusammen.

Ulrike Sachenbacher widmet sich der Thematik zudem im zweiten Teil ihres Artikels „Besondere Herausforderungen an Kinderschutzverfahren unter Pandemiebedingungen in praktischer und rechtlicher Hinsicht“ in FamRZ 2021, Heft 12.

 

Entscheidung des AmtsG Weimar

Ein Einzelrichter des Amtsgerichts Weimar hatte einstweilig untersagt (s. FamRZ 2021, 937, m. Anm. d. Red. {FamRZ-digital | FamRZ bei juris}), dass die Schulleitung und die Lehrer infektionsschutzrechtliche Maßnahmen durchführen dürfen. Das VerwG Weimar (FamRZ 2021, 939 {FamRZ-digital | FamRZ bei juris}) stellte daraufhin durch Eilentscheidung vom 20.4.2021 fest, dass die Allgemeinverfügung des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport vom 9.4.2021, in der eine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auch während des Unterrichts geregelt wird, rechtmäßig ist. Den viel diskutierten Beschluss des AmtsG Weimar hat das OLG Thüringen inzwischen aufgehoben. Die Rechtsbeschwerde hatte vor dem BGH keinen Erfolg (FamRZ 2022, 189 {FamRZ-digital | FamRZ bei juris}).

 

Andere Amtsgerichte sahen sich nicht zuständig

Das AmtsG Wittenberg (FamRZ 2021, 940 {FamRZ-digital | FamRZ bei juris}) entschied im Gegensatz zum AmtsG Weimar, dass kein Anlass zu kinderschutzrechtlichen Maßnahmen gegenüber dem Schulträger oder Lehrern im Zusammenhang mit Schutzmaßnahmen gegen das SARS-CoV-2-Virus bezüglich von Schülern bestehe. Laut dem AmtsG München (FamRZ 2021, 944 {FamRZ-digital | FamRZ bei juris}) bestehe bereits kein Anlass auch nur zur amtswegigen Einleitung eines solchen Kindesschutzverfahrens. Es bestünden weder Anhaltspunkte für eine konkrete Kindeswohlgefährdung noch sei für die Überprüfung behördlicher Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus der Rechtsweg zu den Familiengerichten eröffnet. Ebenso entschied das OLG Nürnberg (FamRZ 2021, 935 {FamRZ-digital | FamRZ bei juris}), das allerdings ebenfalls die Rechtsbeschwerde zum BGH zuließ. Auch das AmtsG Hannover, das laut eigener Aussage mehr als 100 Kindesschutzanträge erhielt, konnte keine Notwendigkeit für familiengerichtliche Maßnahmen erkennen. Mehrere OVGs bestätigten darüber hinaus die Testpflicht und Maskenpflicht für Schulkinder.

Das AmtsG Garmisch-Partenkirchen erlegte sogar dem Ersteller der Musteranträge die Verfahrenskosten auf. In den Leitsätzen des Beschlusses (FamRZ 2021, 945 {FamRZ-digital | FamRZ bei juris}) heißt es:

Ein Dritter, der Eltern durch ins Internet gestellte Musteranträge veranlasst, wegen der Pflicht zum Tragen von Mundschutzmasken in der Schule ein Sorgerechtsverfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls einzuleiten, handelt grob schuldhaft; ihm können daher die Kosten dieses Verfahrens auferlegt werden.

 

OLG Karlsruhe: Familiengerichte können Verfahren selbst erledigen

Das OLG Karlsruhe entschied am 28.4.2021 (Az.: 20 WF 70/21), dass Familiengerichte – ggf. haltlose – Anregungen auf Einleitung von Verfahren wegen angeblicher Kindeswohlgefährdungen selbst erledigen können. Der Beschluss habe aber keine darüber hinausgehende inhaltliche Aussagekraft, so das OLG in einer Pressemitteilung. Insbesondere verhalte sich die Entscheidung nicht zu der Frage, ob Familiengerichte für die Überprüfung infektionsschutzrechtlicher Regelungen an Schulen zuständig sind oder nicht.

 

BVerwG: Familiengerichte sind zuständig

Zur Zuständigkeits-Frage entschied schließlich das VerwG Münster in mehreren Beschlüssen: Für Verfahren auf unmittelbares Einschreiten gegen die Leitung bzw. die Lehrkräfte an Schulen wegen angeblich kindeswohlgefährdender Corona-Schutzmaßnahmen auf der Grundlage des § 1666 BGB seien nicht die Verwaltungsgerichte zuständig. Das Gericht rief das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung der (Gerichts-)Zuständigkeit an.

Dieses entschied daraufhin am 16.6.2021 (Az.: BVerwG 6 AV 1.21), dass die Amtsgerichte trotz der Verweisungsbeschlüsse zuständig geblieben sind. Zwar sei eine Verweisung für das Gericht, an das das Verfahren verwiesen worden ist, grundsätzlich bindend. Das gelte jedoch nicht, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr nachvollziehbar erscheine und offensichtlich unhaltbar sei. Die Eltern hatten sich in ihrem Schreiben an das Amtsgericht ausdrücklich darauf beschränkt, ein familiengerichtliches Tätigwerden gegen die Schule auf der Grundlage des § 1666 I und IV BGB anzustoßen. Über Maßnahmen gemäß § 1666 BGB entscheide das Familiengericht jedoch selbständig von Amts wegen. Es hätte keine Verweisung aussprechen, sondern - da familiengerichtliche Anordnungen gegenüber Behörden rechtlich ausgeschlossen sind - entweder auf die Eröffnung eines Verfahrens verzichten oder ein bereits eröffnetes Verfahren einstellen müssen. Den Volltext der Entscheidung finden Sie in FamRZ 2021, 1382 {FamRZ-digital | FamRZ bei juris}.

 

BGH: Familiengerichte müssen Verfahren ohne Rechtswegverweisung einstellen

Der BGH hat mit Beschluss vom 6.10.2021 (Az.: XII ARZ 35/21) entschieden, dass das Familiengericht bei einer Gefährdung des Kindeswohls von Amts wegen die Maßnahmen zu treffen hat, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind. Dabei könne das Gericht in Angelegenheiten der Personensorge auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen. Damit sei jedoch keine Befugnis des Familiengerichts zum Erlass von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber schulischen Behörden verbunden.

Eine Rechtswegverweisung des Familiengerichts an das Verwaltungsgericht komme wegen unüberwindbar verschiedener Prozessgrundsätze des von Amts wegen zu betreibenden familiengerichtlichen Verfahrens einerseits und des Klage- bzw. Antragsverfahrens der Verwaltungsgerichtsbarkeit andererseits nicht in Betracht. Das familiengerichtliche Verfahren war deshalb ohne Rechtswegverweisung einzustellen. Den Volltext der Entscheidung finden Sie in FamRZ 2021, 1884 {FamRZ-digital | FamRZ bei juris}.

 

BVerfG: BGH-Rechtsprechung nicht zu beanstanden

Das BverfG nahm schließlich mit Beschluss vom 18.1.2022 die Verfassungsbeschwerde einer Mutter nicht zur Entscheidung an, mit der diese sich gegen familiengerichtliche Entscheidungen gewandt hatte, welche die Aufhebung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen in der Grundschule des Sohnes der Beschwerdeführerin abgelehnt haben. Annahmegründe (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) lägen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde unzulässig sei und zudem eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich sei.

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