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Verwaltungsrechtliche Rehabilitierung wegen rechtsstaatswidriger Adoption in der DDR

Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 19.10.2023

Wer in der ehemaligen DDR in rechtsstaatswidriger Weise adoptiert wurde, hat einen Anspruch auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung nach § 1 VwRehaG durch Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit dieser Adoption, wenn sie zu den in der Vorschrift genannten Folgen geführt hat und diese noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 19.19.2023 entschieden.

 

Gewalttätiger Pflegevater adoptierte Kläger gegen den Willen des Vaters

Der Kläger wurde 1972 geboren. 1975 ließen seine Eltern sich scheiden. Nach dem Tod seiner allein erziehungsberechtigten Mutter im folgenden Jahr beantragte sein Vater die Übertragung des Erziehungsrechts und verwies auf seinen Ausreiseantrag. Beide Anträge wurden abgelehnt; der Kläger wurde in einer Pflegefamilie untergebracht. 1979 beantragten die Pflegeeltern die Adoption des
Klägers. Sein aus politischen Gründen inhaftierter und anschließend in die Bundesrepublik entlassener Vater verweigerte die Einwilligung in die Adoption. Diese wurde 1981 gerichtlich ersetzt.

1982 beschloss der zuständige Jugendhilfeausschuss die Annahme des Klägers an Kindes statt durch seine Pflegeeltern. Deren Ehe wurde 1983 geschieden. Das Erziehungsrecht wurde dem Adoptivvater zugesprochen. Dieser wurde 1984 wegen wiederholter Misshandlung des Klägers zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der Kläger wurde bis zum Erreichen seiner Volljährigkeit in verschiedenen Heimen und Jugendwerkhöfen untergebracht.

2014 beantragte er seine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung wegen seiner Adoption, als deren Folge er heute noch unter schweren Gesundheitsschädigungen leide. Der Beklagte lehnte den Antrag 2019 ab, weil Adoptionen nicht der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung unterlägen. Der Klage auf Rehabilitierung gemäß § 1 VwRehaG, hilfsweise - ohne Ansprüche auf Beschädigtenversorgung - nach § 1a VwRehaG, hat das Verwaltungsgericht nur hinsichtlich des Hilfsantrags stattgegeben.

 

Folgen der Adoption wirken unzumutbar fort

Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Der Beklagte sei verpflichtet, gemäß § 1 VwRehaG festzustellen, dass die Adoption des Klägers rechtsstaatswidrig war, so das BVerwG. Diese Vorschrift sei auf Adoptionen in der ehemaligen DDR anwendbar mit der Maßgabe, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen an die Stelle der Aufhebung der Adoption die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit tritt. Die im Einigungsvertrag und im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen familienrechtlichen Vorschriften (Art. 234 § 13 EGBGB i. V. mit §§ 1759 ff. BGB) regelten die Aufhebung von Adoptionen abschließend, stünden jedoch einer Rehabilitierung in sonstiger Weise nicht entgegen. Die Betroffenen von einer solchen Rehabilitierung und den mit ihr verbundenen Versorgungsansprüchen auszuschließen, sei auch vor dem Gleichbehandlungsgebot nicht zu rechtfertigen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Rehabilitierung des Klägers lägen vor.

Das Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, dass die Adoption mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar war. Sie habe in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit verstoßen und sich als Willkürakt im Einzelfall dargestellt, weil sie sachfremden Zwecken diente. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts war sie nicht - wie nach dem Familienrecht der DDR erforderlich – am Kindeswohl orientiert, sondern diente dazu, den Vater des Klägers zu disziplinieren. Außerdem sollte sie eine gemeinsame Ausreise verhindern. Ihre Folgen wirkten noch unmittelbar schwer und unzumutbar fort. Der Kläger habe schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht, dass seine fortwirkenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen wesentlich auf seine Adoption und seine Misshandlungen in der Adoptivfamilie zurückzuführen sind.

Quelle: Pressemitteilung des BVerwG v. 19.10.2023

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