Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26.3.2019 - 1 BvR 673/17
Der vollständige Ausschluss der Stiefkindadoption allein in nichtehelichen Familien verstößt gegen Artikel 3 Abs. 1 GG. Dies hat das BVerfG am 26.3.2019 beschlossen. Der Stiefelternteil in nichtehelichen Stiefkindfamilien kann nach derzeitiger Rechtslage die Kinder des anderen Elternteils nicht adoptieren, ohne dass die Verwandtschaft der Kinder zu diesem erlischt. In einer ehelichen Familie kann ein solches Kind hingegen gemeinschaftliches Kind beider Eltern werden. Dies sei mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot nicht vereinbar, so das BVerfG.
Die zugrundeliegenden Vorschriften des BGB erklärte das Gericht für verfassungswidrig. Es gab dem Gesetzgeber auf, bis zum 31.3.2020 eine Neuregelung zu treffen.
Stabile Patchworkfamilie klagte
Die Beschwerdeführerin zu 1 ist die leibliche Mutter der anzunehmenden Kinder, der Beschwerdeführer zu 2 und 3. Der mit der Mutter verheiratete leibliche Vater der Kinder verstarb im Jahr 2006. Seit 2007 leben die Beschwerdeführerin zu 1 und der Beschwerdeführer zu 4 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft. Sie haben davon abgesehen, die Ehe zu schließen, weil die Beschwerdeführerin zu 1 eine Witwenrente bezieht, die sie als einen wesentlichen Teil ihrer Existenzgrundlage betrachtet und die sie durch die Wiederverheiratung verlöre.
Die beiden haben einen gemeinsamen, im Jahr 2009 geborenen Sohn. Das Amtsgericht wies den Antrag auf Ausspruch der Annahme der Beschwerdeführer zu 2 und 3 als gemeinschaftliche Kinder zurück. Die Beschwerde zum OLG und die Rechtsbeschwerde zum BGH blieben erfolglos.
Benachteiligung durch Vorschriften des BGB unverhältnismäßig
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Benachteiligung von Kindern in nichtehelichen Stiefkindfamilien gegenüber Kindern in ehelichen Stiefkindfamilien nicht zu rechtfertigen ist. Die Rechtfertigung bemesse sich nach strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen. Danach sei hier ein strengerer Prüfungsmaßstab anzuwenden.
Die verfassungsrechtlichen Anforderungen gehen über das bloße Willkürverbot deutlich hinaus, weil die Adoption für die Persönlichkeitsentfaltung wesentliche Grundrechte des Kindes betrifft und das nach derzeitiger Rechtslage maßgebliche Differenzierungskriterium, die Ehe zwischen Elternteil und Stiefelternteil, durch die Kinder weder beinflussbar ist noch den Kindern die Einflussmöglichkeiten der Eltern zuzurechnen sind.
Diesen Anforderungen genügten die angegriffenen Regelungen nicht. Die Benachteiligung der betroffenen Stiefkinder sei jedenfalls unverhältnismäßig im engeren Sinne.
Ehelichkeit der Elternbeziehung nicht der einzige Stabilitätsindikator
Gegen die Stiefkindadoption vorgebrachte allgemeine Bedenken rechtfertigten die Benachteiligung von Kindern in nichtehelichen Stiefkindfamilien nicht. Der Schutz des Stiefkindes vor einer nachteiligen Adoption lasse sich auf andere Weise als den vollständigen Adoptionsausschluss hinreichend wirksam sichern, so das BVerfG in seiner Begründung.
Zwar sei verfassungsrechtlich nichts dagegen einzuwenden, dass der Gesetzgeber im Adoptionsrecht die Ehelichkeit der Elternbeziehung als Indikator für Stabilität verwendet. Die gesetzliche Regelung sei jedoch nicht geeignet, stabile nichteheliche Stiefkindfamilien zu erfassen, weil sie die Ehelichkeit der Elternbeziehung als notwendigen Stabilitätsindikator verwendet und nicht zulässt, eine Stabilitätserwartung alternativ durch andere Indikatoren zu begründen. Nichts rechtfertige heutzutage noch die Annahme, dass die Paarbeziehung innerhalb einer nichtehelichen Stiefkindfamilie typischerweise besonders fragil wäre.
Die unterschiedliche Behandlung von Stiefkindern in ehelichen und nichtehelichen Familien sei im Ergebnis auch nicht durch die in Art. 6 Abs. 1 GG zugunsten der Ehe enthaltene Wertentscheidung gerechtfertigt.
Volltext: Beschluss des Ersten Senats vom 26.3.2019 - 1 BvR 673/17 -
Quelle: Pressemitteilung Nr. 33/2019 des Bundesverfassungsgerichts vom 2.5.2019