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Schizophrenie-Zwangsbehandlung durch Elektrokrampftherapie

Bundesgerichtshof, Beschluss v. 15.1.2020 - XII ZB 381/19

Der BGH hat am 15.1.2020 über die Frage der Zulässigkeit einer gerichtlichen Genehmigung der Zwangsbehandlung von an Schizophrenie erkrankten Betroffenen durch Elektrokonvulsionstherapie / Elektrokrampftherapie (EKT) entschieden (Az.: XII ZB 381/19). Die Einwilligung des Betreuers in die zwangsweise Durchführung dieser Maßnahme sei im vorliegenden Fall nicht genehmigungsfähig: sie entspräche keinem breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens.

 

Amtsgericht genehmigt Einwilligung des zuständigen Betreuers

Der Betroffene leidet an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie. Seit Februar 2018 war er wiederholt untergebracht und wurde – überwiegend zwangsweise – mit verschiedenen Medikamenten letztlich erfolglos behandelt. Nach Befürwortung durch ein Sachverständigengutachten hat das Amtsgericht die Einwilligung des zuständigen Betreuers in die

  • Durchführung einer EKT in Form der elektrischen Auslösung von sechs großen zerebralen Anfällen mithilfe von uni- oder alternativ bilateral angelegten Elektroden innerhalb von zwei Wochen,
  • Einleitung einer Narkose durch Anästhesisten
  • die Anwendung von Gewalt (wenn der Betroffene von den ärztlichen Maßnahmen nicht überzeugt werden kann) in Form von Festhalten, 3- bis 5-Punkt-Fixierung,

genehmigt.

Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen und seiner Mutter zurückgewiesen; die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde der Mutter hatte Erfolg.

 

Notwendig können nur wissenschaftlich anerkannte Behandlungen sein

Widerspricht eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff dem natürlichen Willen des Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), so kann der Betreuer in diese – unter näheren gesetzlichen Voraussetzungen – nur dann einwilligen, wenn die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden (§ 1906 a Abs. 1 Nr. 1 BGB).

Der BGH hat klargestellt, dass als "notwendig" im Sinne des Gesetzes nur solche Behandlungen angesehen werden können, deren Durchführung einem breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens entspricht, und zwar sowohl was die Therapie als solche betrifft als auch deren spezielle Durchführungsform im Wege der Zwangsbehandlung gegen den Widerstand des Patienten. Ein derartiger Konsens könne seinen Ausdruck in wissenschaftlichen Stellungnahmen des Beirats der Bundesärztekammer sowie in medizinischen Leitlinien finden.

 

EKT im vorliegenden Fall nicht genehmigungsfähig

Die in Bezug auf die EKT veröffentlichten Stellungnahmen und Leitlinien vermittelten allerdings keinen medizinisch-wissenschaftlichen Konsens, wonach die zwangsweise Durchführung dieser Maßnahme bei einem an (nicht katatoner und nicht akut exazerbierter) Schizophrenie leidenden Betroffenen gerechtfertigt wäre. Zwar könne eine EKT nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen auch zur Behandlung der Schizophrenie bei vorliegender schwerer depressiver Verstimmung mit Suizidalität indiziert sein. Ein depressives Krankheitsbild hätten die sachverständig beratenen Instanzgerichte indes nicht festgestellt. 

Die Einwilligung des Betreuers in die zwangsweise Durchführung dieser Maßnahme sei daher im vorliegenden Fall nicht genehmigungsfähig.

 

Quelle: Pressemitteilung Nr. 016/2020 des BGH vom 17.2.2020

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