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Rentenansprüche verheirateter Transgender-Personen

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Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts in der Rechtssache C-451/16

Eine im nationalen Recht gestellte Anforderung, dass eine Person, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, nur dann einen Anspruch auf eine staatliche Ruhestandsrente hat, wenn sie unverheiratet ist, ist rechtswidrig. Diese Auffassung vertritt EuGH-Generalanwalt Bobek in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache C-451/16. Ein solches Erfordernis sei mit der EU-Richtlinie über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen unvereinbar.

 

Klägerin wollte Ehe nach Geschlechtsumwandlung nicht für ungültig erklären lassen

MB wurde 1948 geboren und bei der Geburt als männlich eingetragen und heiratete 1974. Im Jahr 1991 begann sie als Frau zu leben und im Jahr 1995 unterzog sie sich einer operativen Geschlechtsumwandlung. MB beantragte jedoch keine vollständige Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit nach nationalem Recht, denn damals hätte eine verheiratete Person, die eine solche Bescheinigung begehrte, ihre Ehe für ungültig erklären lassen müssen, da nach dem Recht des Vereinigten Königreichs gleichgeschlechtliche Ehen nicht erlaubt waren. MB und ihre Frau wollten ihre Ehe nicht für ungültig erklären lassen.

Im Jahr 2008 vollendete MB das 60. Lebensjahr, was dem Rentenalter für vor dem 6. April 1950 geborene Frauen entsprach. Sie beantragte die staatliche Ruhestandsrente. Ihr Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass sie mangels einer vollständigen Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit für die Bestimmung des Rentenalters nicht als Frau behandelt werden könne. Gegen diesen Bescheid erhob MB Klage vor den nationalen Gerichten. Sie macht geltend, die Voraussetzung, unverheiratet zu sein, stelle eine rechtswidrige Diskriminierung dar, die gegen das Unionsrecht verstoße.

 

Unterschiedliches Rentenalter für Frauen und Männer in UK

Die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24) verbietet in Bezug auf staatliche Leistungen einschließlich Alters- und Ruhestandsrenten die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Diese Richtlinie sieht eine Ausnahme von diesem Verbot vor, die es Mitgliedstaaten gestattet, die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Alters- oder Ruhestandsrente von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen. Das Vereinigte Königreich hat hiervon Gebrauch gemacht, wobei das Rentenalter für vor dem 6. April 1950 geborene Frauen 60 Jahre und jenes für vor dem 6. Dezember 1953 geborene Männer 65 Jahre beträgt.

Als MB Klage bei den nationalen Gerichten erhob, wurde das erworbene Geschlecht einer Transgender-Person für die Bestimmung des Rentenalters für eine staatliche Rente jedoch nicht anerkannt, wenn diese Person Partei in einer bestehenden Ehe war und blieb. Der Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) möchte vom Gerichtshof wissen, ob diese Rechtslage mit der Richtlinie vereinbar ist.

 

Verheiratete Transgender-Personen haben keinen Zugang zur Rente

In den Schlussanträgen vom 5.12.2017 vertritt Generalanwalt Bobek die Auffassung, dass das nur für Transgender-Personen geltende Erfordernis, unverheiratet zu sein, um Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente zu haben, gegen die Richtlinie verstößt. Dies stellte eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, die nicht sachlich gerechtfertigt werden könne. Der Generalanwalt verweist auf die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs, in der dieser bestätigt habe, dass das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts die Diskriminierung aufgrund einer Geschlechtsumwandlung umfasse.

Der Generalanwalt vertritt in weiterer Folge die Ansicht, dass für die Feststellung einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Zusammenhang mit einer Geschlechtsumwandlung die maßgebliche Vergleichsgruppe vom Kontext des Falles abhänge. Im vorliegenden Fall werde die geeignete Vergleichsgruppe durch Cisgender-Frauen gebildet, da es um den Zugang zu Ruhestandsleistungen für Mann-zu-Frau-Transgender-Personen im Vergleich zu Cisgender-Frauen gehe. Schließlich bestehe eine Ungleichbehandlung, denn der Ehestand spiele für Cisgender-Personen für den Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente keine Rolle. Für verheiratete Transgender-Personen bestehe hingegen das Erfordernis, ihre Ehe für ungültig erklären zu lassen. Die Abweichung, die es den Mitgliedstaaten gestatte, ein für Männer und Frauen unterschiedliches Rentenalter für die Ruhestandsrente beizubehalten, berechtige nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung zwischen Transgender-Personen und jenen Personen, deren Geschlecht nicht aus einer Geschlechtsumwandlung resultiere.

 

Gefahr der Diskriminierung „durch die Hintertür“

Der Generalanwalt erörtert sodann die weiterreichenden Auswirkungen des Falles. Man könnte, so der Generalanwalt, meinen, dass das eigentliche Problem im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Anerkennung der Geschlechtsumwandlung – im Gegensatz zu den Voraussetzungen für den Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente – seien. Der Generalanwalt erkennt an, dass es Sache der Mitgliedstaaten sei, die Voraussetzungen für die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsumwandlung einer Person festzulegen. Er teilt jedoch nicht die Schlussfolgerung, dass insofern keine rechtswidrige Behandlung vorliege, als das Erfordernis, unverheiratet zu sein, keine unmittelbare Voraussetzung für den Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente sei, sondern eine Voraussetzung für die Anerkennung der Geschlechtsumwandlung, deren Festlegung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle.

In seinen Augen hätte ein solcher Ansatz zur Folge, dass der Anwendungsbereich des Unionsrechts betreffend das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vollständig von den verschiedenen auf nationaler Ebene festgesetzten Voraussetzungen abhinge. Dies könne letztlich zu einer Diskriminierung „durch die Hintertür“ führen. Er weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeiten stets das Unionsrecht zu beachten haben, insbesondere die Bestimmungen in Bezug auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung. Er stellt klar, dass seine Schlussfolgerung jedoch nicht bedeutet, dass Mitgliedstaaten verpflichtet wären, gleichgeschlechtliche Ehen anzuerkennen. Tatsächlich müssten die Mitgliedstaaten nur den Zugang zu der fraglichen Leistung von dieser besonderen Voraussetzung, unverheiratet zu sein, unabhängig machen. Es stehe den Mitgliedstaaten frei, ob sie gleichgeschlechtliche Ehen erlaubten.

Abschließend wiederholt der Generalanwalt, dass es im vorliegenden Fall nicht um gleichgeschlechtliche Ehen gehe, sondern vielmehr um die Kombination einer Reihe von Voraussetzungen, die zu einer ziemlich eigenartigen Situation führe. Diese Situation ergebe sich teilweise aus einer Abweichung von einem der fundamentalen Grundsätze des Unionsrechts – indem in Bezug auf den Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zugelassen werde, die nicht nur außergewöhnlich sei, sondern von der auch erwartet werde, dass sie durch die Angleichung des Rentenalters für Männer und Frauen im Vereinigten Königreich schrittweise verschwinden werde. Dementsprechend werde auch die Ursache des der vorliegenden Rechtssache zugrundeliegenden Problems zwangsläufig verschwinden.

 

Quelle: Pressemitteilung Nr. 131/17 des Gerichtshof der Europäischen Union vom 5.12.2017

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