Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.4.2018 (Az. 1 C 1.17)
Ein Kleinkind verliert eine kraft Abstammung durch Geburt erworbene deutsche Staatsangehörigkeit, wenn der deutsche „Scheinvater“, der die Vaterschaft zunächst anerkannt hatte, diese erfolgreich anficht, sofern es dadurch nicht staatenlos wird. Die Regelungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes und des Bürgerlichen Rechts, aus denen dieser Verlust nach allgemeiner Rechtsüberzeugung abgeleitet wird, stehen bei verfassungskonformer Auslegung im Einklang mit dem Grundgesetz. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden (Urteil vom 19. April 2018 - BVerwG 1 C 1.17 - )
Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit verstößt nicht gegen Grundgesetz
Die 2004 in Deutschland geborene Klägerin begehrt die Feststellung, deutsche Staatsangehörige zu sein. Ihre Mutter ist serbische Staatsangehörige; sie besaß zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin keinen Aufenthaltstitel, sondern wurde seit 1994 fortlaufend geduldet. Vor der Geburt hatte ein deutscher Staatsangehöriger mit Zustimmung der Mutter die Vaterschaft der Klägerin anerkannt. Infolgedessen hatte die Klägerin mit der Geburt aufgrund der Abstammung von einem deutschen Vater die deutsche Staatsangehörigkeit erworben (§ 4 Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG). Auf eine vom rechtlichen Vater kurz nach der Geburt erhobene Vaterschaftsanfechtungsklage entschied das Familiengericht im November 2005 auf Grund eines Abstammungsgutachtens, dass die Klägerin nicht dessen Tochter sei. Einen im Jahr 2014 gestellten Antrag der Klägerin, festzustellen, dass sie deutsche Staatsangehörige ist, lehnte der beklagte Landkreis ab. Die Klage wurde in den Vorinstanzen abgewiesen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Entscheidungen bestätigt. Die deutsche Staatsangehörigkeit der Klägerin sei infolge der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung rückwirkend auf den Zeitpunkt ihrer Geburt entfallen. Damit stünde nämlich fest, dass sie nicht von einem deutschen Staatsangehörigen abstamme (§ 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 Abs. 1 BGB). Der hierdurch herbeigeführte Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit verstoße nicht gegen Art. 16 Abs. 1 GG. Er stelle keine unzulässige Entziehung der Staatsangehörigkeit dar, weil er auf diskriminierungsfreien Regelungen beruht und die Klägerin in einem Alter getroffen hat, in dem Kinder noch kein Bewusstsein über ihre Staatsangehörigkeit entwickelt haben.
Klägerin war Kleinkind und wurde nicht staatenlos
Der Verlust finde in § 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 Abs. 1, § 1592 Nr. 2 BGB eine hinreichende gesetzliche Grundlage (vgl. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG), die dem Zitiergebot des Grundgesetzes nicht unterfalle. Die Verlustregelung lasse sich im Wege der verfassungskonformen Auslegung um eine verfassungsrechtlich erforderliche, seinerzeit aber noch nicht vorhandene Altersgrenze sowie um eine Ausnahme für den Fall der Staatenlosigkeit ergänzen. Die Klägerin war im maßgeblichen Zeitpunkt der Vaterschaftsanfechtung noch im (frühen) Kleinkindalter und ist auch nicht staatenlos geworden.
Auf die Vaterschaftsanfechtung des „Scheinvaters“ ist nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 – 1 BvL 6/10 (FamRZ 2014, 449, m. Anm. Helms) übertragbar, mit der das Gericht die eingriffsintensiveren Regelungen zur Anfechtung der Vaterschaft durch Behörden für nichtig erklärt hat. Gegen den mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit hier verbundenen Verlust der Unionsbürgerschaft bestehen auch keine unionsrechtlichen Bedenken.
Vorinstanzen:
OVG Lüneburg, 13 LC 21/15 - Urteil vom 07. Juli 2016 - , FamRZ 2016, 2018
VG Oldenburg, 11 A 2497/14 - Urteil vom 11. Februar 2015 -
Quelle: Pressemitteilung Nr. 25/2018 des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.4.2018