Öffentliche Anhörung des Gesundheitsausschusses am 21.9.2022
Kinder und Jugendliche sind nach Einschätzung von Gesundheitsexperten während der Corona-Pandemie besonders belastet worden. Dies wurde bei einem Fachgespräch am Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Bundestages deutlich. An der Anhörung nahmen folgende Fachleute teil:
- Burkhard Rodeck, Kinder-/Jugendarzt und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)
- Lutz Hempel, Vorstandsmitglied der Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschland (GKinD)
- Ursula Marschall, Barmer Institut für Gesundheitsforschung
- Julian Schmitz, Forscher und Psychotherapeut
- Ulrike Ravens-Sieberer, Forschungsdirektorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Die Experten stimmten darin überein, dass die Belange von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie politisch stärker berücksichtigt werden müssen.
Lockdown für Kinder schlimmer als Covid-Erkrankung
Burkhard Rodeck bezweifelte, dass mit den politischen Entscheidungen in der Pandemie die Belange und Bedarfe von Kindern und Jugendlichen immer adäquat berücksichtigt worden sind. Er betonte, im Gegensatz zu Erwachsenen sei die Krankheitslast bei Kindern in der Coronakrise extrem gering ausgefallen. Sehr wenige Kinder seien nach einer Infektion gestorben, vor allem vorerkrankte Kinder. Zwar gebe es auch bei Kindern Corona-Langzeitfolgen, in der Regel aber mit guter Prognose.
Ähnlich argumentierte Lutz Hempel. Die Covid-Erkrankung sei bei Kindern und Jugendlichen in der Regel gut behandelbar gewesen. Es habe allerdings viele Fälle von RSV-Erkrankungen (Respiratorisches Synzytial-Virus) gegeben, eine Folge der Isolation von Kleinkindern, deren kindliches Immunsystem nicht ausreichend gestärkt worden sei. Dies könne noch Auswirkungen haben auf künftige Grippeerkrankungen. Nach Hempels Einschätzung war die Covid-Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen weniger dramatisch als der Lockdown. Er mahnte, es dürfe nie wieder zu einer so drastischen Einschränkung des Lebens von Kindern und Jugendlichen kommen.
Starke Zunahme psychischer Erkrankungen
Julian Schmitz sprach von einer starken Zunahme an psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Zu den Gründen gehörten Alltagseinschränkungen und Schulschließungen. Die psychische Belastung dauere an, hinzu kämen als Gründe aktuell wirtschaftliche Probleme, Kriegsangst und Sorge wegen des Klimawandels. Gleiches beobachtete Ursula Marschall. Sie wandte sich aber gegen die Darstellung, wonach es sich um eine “verlorene Generation“ handele.
Nach Aussage von Ulrike Ravens-Sieberer zeigen Studien, dass die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie höher war als vorher. Der Lockdown habe einen deutlichen Anstieg der Belastung gebracht. Betroffen seien vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Beobachtet worden seien vermehrt Stresssymptome und Ängstlichkeit. Helfen könnten ein gutes Familienklima und Strukturen im Alltag.
Versorgungslage ist katastrophal
Schmitz nannte die Versorgungslage für Patienten mit psychischen Störungen katastrophal. In der Pandemie hätten sich die Wartezeiten auf einen ambulanten Psychotherapieplatz in ländlichen Gebieten verdoppelt. Betroffene warteten teilweise ein Jahr und länger. Er forderte eine kurzfristige Verbesserung der therapeutischen Lage mit Sonderzulassungen und einer angepassten Bedarfsplanung sowie eine frühzeitige Intervention bei auffälligen Kindern. Marschall forderte mehr zielgruppengerechte Angebote für die psychische Versorgung, die Sicherstellung in der ambulanten Psychotherapie und mehr Gruppentherapieangebote.
In Folge 9 des FamRZ-Podcasts „familiensachen“ sprechen Veronika Bodensteiner, Jörn Müller und Philipp Reuß mit Eva Möhler, Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universitätsklinik des Saarlandes, darüber, wieso Kinder unter Corona besonders gelitten haben, welche Altersgruppen es am schlimmsten getroffen hat und wie sich dies äußert. Die Folge können Sie hier anhören.