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Kein automatischer Unfallversicherungsschutz bei Betreuung durch Oma

Bundessozialgericht, Urteil vom 19.6.2018 – B 2 U 2/17 R –

Das Bundessozialgericht hat am 19.6.2018 entschieden (Az. B 2 U 2/17 R), dass Kinder während Betreuungszeiten durch Verwandte nicht automatisch über deren gesetzliche Unfallversicherung versichert sind. Für einen vollen Unfallversicherungsschutz müsse es sich bei der Betreuungsperson um eine anerkannte Tagespflegeperson handeln und das Jugendamt müsse in das Betreuungsverhältnis eingebunden werden.

 

Junge fiel während der Betreuungszeit der Oma in Pool

Die Klägerin ist die Großmutter des im Jahre 2007 geborenen Beigeladenen. Sie betreute den Beigeladenen und seine Schwester öfter bei sich im Haushalt, wobei die Kinder auch über Nacht blieben. Für diese Betreuung erhielt die Klägerin weder ein Entgelt noch war die Betreuung beim Jugendamt angezeigt worden. Am 13.8.2008 fiel der Beigeladene während der Betreuung durch die Klägerin in einen auf dem Grundstück befindlichen Pool mit einer Wassertiefe von 1,1 m. Durch den Unfall erlitt er eine hypoxische Hirnschädigung, in deren Folge sich eine generalisierte Epilepsie sowie eine spastische Tetraparese entwickelten. Mit Bescheid vom 30.8.2012 lehnte die Beklagte gegenüber dem Beigeladenen die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab, weil es sich bei der Klägerin nicht um eine anerkannte Tagespflegeperson handele. Der Bescheid wurde der Klägerin übersandt, die hiergegen erfolglos Widerspruch einlegte.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe zum Unfallzeitpunkt unstreitig keine Erlaubnis für die Tätigkeit als Tagespflegeperson besessen. Für die Betreuung oder Beaufsichtigung von Kindern durch die Großeltern oder sonstige Verwandte und Bekannte sehe das Gesetz keinen Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung vor. Das Landessozialgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Der Beigeladene sei zum Unfallzeitpunkt nicht unfallversichert gewesen, denn § 2 Abs 1 Nr. 8 Buchst a SGB VII erfasse nicht jedwede Kindesbetreuung durch Verwandte, Freunde, Bekannte oder Nachbarn. § 23 SGB VIII sei erkennbar auf vom Jugendamt vermittelte Tagespflegepersonen zugeschnitten. 

 

BSG: Vorinstanzen haben richtig entschieden

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 2 Abs 1 Nr. 8 Buchst a SGB VII. Der Gesetzgeber habe alle Kinder unter Versicherungsschutz stellen wollen, die von "geeigneten" Tagespflegepersonen betreut würden, wenn die Betreuung qualitativ einer vom Jugendamt vermittelten entspreche.

Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Zu Recht hätten die Vorinstanzen entschieden, dass der Beigeladene nicht als Kind während der Betreuung durch eine geeignete Tagespflegeperson nach § 2 Abs 1 Nr. 8 Buchst a SGB VII versichert war, so das Bundessozialgericht. Die Klägerin konnte die Feststellung eines Versicherungsfalls im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft verlangen. Auch das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin sei nicht entfallen, obwohl sie vom Landgericht rechtskräftig zur Leistung von Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt worden ist. Es sei nämlich nicht ausgeschlossen, dass sich durch die Feststellung eines Versicherungsfalls des Beigeladenen die Rechtsstellung der Klägerin verbessert. Um widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, hätte das Landgericht allerdings gemäß § 108 Abs 2 SGB VII das bei ihm anhängige Verfahren bis zu einer unanfechtbaren Entscheidung des Unfallversicherungsträgers über das Vorliegen eines Versicherungsfalls aussetzen müssen.

 

Unfallversicherungsschutz nur bei Einbindung des Jugendamts in Betreuung

Das BSG stellte weiterhin fest, dass es sich bei dem Unfall des Beigeladenen nicht um einen versicherten Arbeitsunfall nach § 8 Abs 1 in Verbindung mit § 2 Abs 1 Nr. 8 Buchst a SGB VII handelte, weil es an einer Einbindung des Jugendamts in das Betreuungsverhältnis zwischen Klägerin und Beigeladenem fehlte. Nach § 2 Abs 1 Nr. 8 Buchst a SGB VII sind Kinder während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne des § 23 SGB VIII unfallversichert. Eine versicherte Betreuung im Sinne dieser Vorschrift sei nur dann gegeben, wenn das Betreuungsverhältnis unter Beteiligung des zuständigen Trägers der Jugendhilfe zustande gekommen sei. Dies folge zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift, ergebe sich jedoch aus dem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der Regelung, so das BSG. § 23 SGB VIII definiert die Förderung in Kindertagespflege als Leistung der Jugendhilfe. Diese umfasst

  • die Vermittlung des Kindes zu einer geeigneten Tagespflegeperson sowie
  • deren fachliche Beratung, Begleitung und weitere Qualifizierung
  • die Gewährung einer laufenden Geldleistung.

Suchen die Eltern selbst eine geeignete Betreuungsperson, müsse diese zur Erlangung der Förderung gegenüber dem Jugendamt nachgewiesen werden.

 

Oma besitzt nicht gleiche Eignung wie Tagespflegepersonen

2 Abs 1 Nr. 8 SGB VII regelt die Unfallversicherung für Schüler, Studenten sowie Kinder in Kindertageseinrichtungen. Den Tatbeständen des § 2 Abs 1 Nr. 8 SGB VII sei gemeinsam, so das BSG, dass sie Kinder und Jugendliche in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung einbeziehen, weil sie sich in einer staatlich verantworteten Vorstufe zu einer späteren Berufstätigkeit befinden. Dabei liege jeweils eine gewisse Institutionalisierung vor, die

  • bei Studierenden durch die Immatrikulation
  • bei Schülern durch den Schulbesuch
  • bei Kleinkindern durch den Besuch von erlaubnispflichtigen Kindertageseinrichtungen

zum Ausdruck komme.

Mit der Aufnahme der Tagesbetreuung bei geeigneten Tagespflegepersonen in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung seit dem 1.1.2005 sollte die Kindertagespflege der Betreuung in erlaubnispflichtigen Tageseinrichtungen gleichgestellt werden. So kann der Unfallversicherungsschutz auch nur für vergleichbare Tagespflegeverhältnisse gelten, für die der Jugendhilfeträger eine gewisse Gewähr hinsichtlich der Eignung übernommen hat. Dies entspreche dem Willen des Gesetzgebers, der durch die Bezugnahme auf § 23 SGB VIII sicherstellen wollte, dass nur die Kinder zum versicherten Personenkreis gehören, deren Tagespflegepersonen beim Träger der Jugendhilfe oder durch diesen beauftragte Stellen registriert sind und sich durch

  • ihre Persönlichkeit
  • ihre Sachkompetenz
  • die ihnen zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten
  • ihre Kooperationsbereitschaft

als geeignet erweisen.

 

Keine Haftungsbeschränkung zugunsten der Klägerin

Da der Beigeladene keinen nach § 2 Abs 1 Nr. 8 Buchst a SGB VII versicherten Unfall erlitten hat, scheidet eine Haftungsbeschränkung zugunsten der Klägerin nach § 104 SGB VII oder § 106 Abs 1 SGB VII aus. Soweit das LSG außerdem eine Haftungsbeschränkung zugunsten der Klägerin nach § 105 Abs 2 SGB VII geprüft hat, war dies nicht zulässiger Gegenstand des Berufungsverfahrens. Die Beklagte konnte schon mangels Zuständigkeit hierzu keine Entscheidung treffen.

Lediglich beiläufig wies das BSG darauf hin, dass eine Haftungsprivilegierung der Klägerin nach § 105 Abs 2 Satz 2 SGB VII an der fehlenden Unternehmereigenschaft des Beigeladenen scheitern dürfte. Der Beigeladene könne nicht Unternehmer seiner eigenen Beaufsichtigung und Betreuung sein. Insoweit handele es sich um familienrechtliche Pflichten der Eltern, die diese zwar möglicherweise auf Dritte, keinesfalls aber auf das Kind selbst übertragen könnten, sodass der Beigeladene selbst nicht Unternehmer sei.



Vorinstanzen:

Sozialgericht Magdeburg - S 10 U 143/13
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 6 U 58/14

Quelle: Pressemitteilung des BSG vom 19.6.2018

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