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Gleichgeschlechtliche Ehepartner und EU-Aufenthaltsrecht

Europäischer Gerichtshof, Urteil in der Rs. C-673/16 (Coman u. a.)

Der Begriff „Ehegatte“ im Sinne der unionsrechtlichen Bestimmungen über die Aufenthaltsfreiheit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen umfasst auch Ehegatten gleichen Geschlechts. Dies hat der EuGH heute in der Rs. C-673/16 (Coman u. a.) entschieden. Den Mitgliedstaaten stehe es zwar frei, die Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts zu erlauben oder nicht zu erlauben. Sie dürfen jedoch die Aufenthaltsfreiheit eines Unionsbürgers nicht dadurch beeinträchtigen, dass sie seinem gleichgeschlechtlichen Ehegatten, der Staatsangehöriger eines Nicht-EU-Landes ist, ein abgeleitetes Recht zum Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet verweigern. Mit seiner Entscheidung folgt der Gerichtshof den Schlussanträgen von Generalanwalt Wathelet vom 31.5.2018.

Im Ausgangsfall des rumänischen Vorabentscheidungsersuchens hatte ein Rumäne seinen US-amerikanischen Partner in Belgien geheiratet. Im Anschluss beabsichtigte das Ehepaar, gemeinsam nach Rumänien zu ziehen. Die rumänischen Behörden wollten dem US-amerikanischen Ehegatten jedoch nur ein dreimonatiges Aufenthaltsrecht zugestehen. In Rumänien, welches gleichgeschlechtliche Ehen nicht anerkennt, könne er nicht als Ehegatte angesehen werden. In ihrer hiergegen gerichteten Klage rügten die Ehegatten eine Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung und machten eine Verletzung des Rechts auf Freizügigkeit in der Union geltend.

 

Beschränkung der Ausübung des Freizügigkeitsrechts des Unionsbürgers

In seinem heute verkündeten Urteil erinnert der Gerichtshof zunächst an seine Rechtsprechung, wonach die Richtlinie über die Ausübung der Freizügigkeit allein die Voraussetzungen regelt, unter denen ein Unionsbürger in andere Mitgliedstaaten als in den seiner eigenen Staatsangehörigkeit einreisen und sich dort aufhalten darf. Auf sie könne kein abgeleitetes Recht von Nicht-EU-Staatsangehörigen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, zum Aufenthalt in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, gestützt werden. Demnach könne die Richtlinie zugunsten des US-amerikanischen Ehegatten kein abgeleitetes Recht zum Aufenthalt in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sein Ehegatte besitzt, d. h. Rumänien, begründen.

Allerdings habe der Gerichtshof bereits entschieden, dass Nicht-EU-Staatsangehörige, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind und aus den Bestimmungen der Richtlinie kein abgeleitetes Recht zum Aufenthalt in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit dieser Unionsbürger besitzt, herleiten können, in bestimmten Fällen auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die Anerkennung eines solchen Rechts erreichen können (diese Bestimmung verleiht den Unionsbürgern unmittelbar das elementare und persönliche Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten).

Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Voraussetzungen für die Gewährung dieses abgeleiteten Aufenthaltsrechts nicht strenger sein dürfen als diejenigen, die die Richtlinie für einen Nicht-EU-Staatsangehörigen vorsieht, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, indem er sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

 

Begriff „Ehegatte“ ist geschlechtsneutral

Der Gerichtshof stellt fest, dass im Rahmen der Richtlinie über die Ausübung der Freizügigkeit der Begriff „Ehegatte“ – der eine Person bezeichnet, die mit einer anderen durch den Bund der Ehe vereint ist – geschlechtsneutral ist und somit den gleichgeschlechtlichen Ehegatten eines Unionsbürgers einschließen kann. Allerdings fällt das Personenstandsrecht, zu dem die Regelungen über die Ehe gehören, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, und das Unionsrecht lässt diese Zuständigkeit unberührt. Den Mitgliedstaaten steht es daher frei, für Personen gleichen Geschlechts die Ehe vorzusehen oder nicht vorzusehen. Zudem achtet die Union die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zum Ausdruck kommt.

Der Gerichtshof ist jedoch der Auffassung, dass die Weigerung eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig geschlossene Ehe eines Nicht-EU-Staatsangehörigen mit einem gleichgeschlechtlichen Unionsbürger allein zum Zweck der Gewährung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts zugunsten dieses Nicht-EU-Staatsangehörigen anzuerkennen, geeignet ist, die Ausübung des Rechts dieses Unionsbürgers, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zu beschränken. Die Zulässigkeit einer solchen Weigerung hätte zur Folge, dass das Freizügigkeitsrecht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgestaltet wäre, je nachdem, ob die nationalen Rechtsvorschriften die Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts vorsehen oder nicht.

 

Keine Beeinträchtigung des Instituts der Ehe in Mitgliedsstaat

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann die Personenfreizügigkeit zwar Beschränkungen unterliegen, die von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängig sind, sofern sie auf objektiven Erwägungen des Allgemeinwohls beruhen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck stehen. Insoweit ist aber die öffentliche Ordnung, die im vorliegenden Fall als Rechtfertigung für die Beschränkung der Freizügigkeit angeführt wird, eng zu verstehen, so dass ihre Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Unionsorgane bestimmt werden darf.

Die Pflicht eines Mitgliedstaats, eine zwischen Personen gleichen Geschlechts in einem anderen Mitgliedstaat nach dessen Recht geschlossene Ehe allein zum Zweck der Gewährung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts zugunsten eines Nicht-EU-Staatsangehörigen anzuerkennen, beeinträchtigt nicht das Institut der Ehe im erstgenannten Mitgliedstaat. Insbesondere verpflichtet sie diesen Mitgliedstaat nicht dazu, in seinem nationalen Recht das Institut der Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts vorzusehen. Somit widerspricht eine solche Pflicht zur Anerkennung allein zum Zweck der Gewährung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts zugunsten eines Nicht-EU-Staatsangehörigen weder der nationalen Identität noch der öffentlichen Ordnung des betreffenden Mitgliedstaats.

 

Gleichgeschlechtliche Ehe ist ebenfalls grundrechtlich geschützt

Schließlich führt der Gerichtshof aus, dass eine nationale Maßnahme, die geeignet ist, die Ausübung der Personenfreizügigkeit zu beschränken, nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn sie mit den durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgten Grundrechten vereinbar ist. Hinsichtlich des in Art. 7 der Charta verbürgten Grundrechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens weist der Gerichtshof darauf hin, dass auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die von einem homosexuellen Paar geführte Beziehung genauso unter die Begriffe „Privatleben“ und „Familienleben“ fallen kann wie die Beziehung eines in derselben Situation befindlichen verschiedengeschlechtlichen Paares.

Die Entscheidung wird veröffentlicht in FamRZ 2018, Heft 14, m. Anm. Dutta.

 

Quelle: Pressemitteilung Nr. 80/18 des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 5.6.2018

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