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Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen ist verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 1.2.2023 – 1 BvL 7/18

Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen ist mangels Regelungen zu den Folgen und zu Fortführungsmöglichkeiten nach inländischem Recht unwirksamer Auslandskinderehen mit dem Grundgesetz unvereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden (Az.: 1 BvL 7/18). Die Vorschrift bleibt jedoch zunächst mit vom Gericht näher festgelegten Maßgaben zu Unterhaltsansprüchen in Kraft. Der Gesetzgeber hat bis längstens 30.6.2024 Zeit, eine in jeder Hinsicht verfassungsgemäße Regelung zu schaffen.

 

Syrisches Ehepaar wurde in Deutschland getrennt

Das zugrunde liegende familiengerichtliche Ausgangsverfahren betrifft eine im Jahr 2015 vor einem Scharia-Gericht in Syrien nach dem dortigen Recht geschlossene Ehe zwischen einem im Januar 1994 geborenen Mann und einer im Januar 2001 geborenen Frau; beide sind syrische Staatsangehörige. Auf Grund der Kriegsereignisse in ihrem Heimatland flüchteten sie gemeinsam nach Deutschland, wo sie im August 2015 ankamen.

Nach ihrer Registrierung in einer Erstaufnahmeeinrichtung wurde die Betroffene, die bis dahin seit Februar 2015 mit dem Antragsteller zusammengelebt hatte, im September 2015 vom Jugendamt in Obhut genommen, vom Antragsteller getrennt und in eine Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge verbracht. Das Amtsgericht stellte das Ruhen der elterlichen Sorge fest und ordnete Vormundschaft an. Zum Vormund wurde das zuständige Stadtjugendamt bestellt.

Daraufhin wandte sich der Ehemann an das Familiengericht und beantragte die Überprüfung der Inobhutnahme sowie unter Hinweis auf die nach syrischem Recht wirksame Ehe die Rückführung seiner Frau zu ihm. Der im Ausgangsverfahren letztinstanzlich zuständige BGH hat am 14.12.2018 das Verfahren ausgesetzt. Er legte dem BVerfG eine Frage zur Entscheidung vor, die den Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) betrifft.

 

Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB verletzt Art. 6 Abs. 1 GG

Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB genüge nicht sämtlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen, so das BVerfG in seiner heute veröffentlichten Entscheidung. Der Artikel verletze, soweit nicht die Ausnahmen nach Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB greifen, das Grundrecht der Ehefreiheit aus Art. 6 Abs. 1 GG.

Der Gesetzgeber sei grundsätzlich befugt, die inländische Wirksamkeit im Ausland wirksam geschlossener Ehen von einem Mindestalter der Beteiligten abhängig zu machen. Ihm sei es auch nicht von vornherein verwehrt, bei Unterschreiten dieses Alters im Zeitpunkt der Eheschließung ohne Einzelfallprüfung die Nichtigkeit der Ehe anzuordnen. Allerdings bedürfe es dann Regelungen über die Folgen der Unwirksamkeit, etwa über Unterhaltsansprüche, und über eine Möglichkeit, die betroffene Auslandsehe nach Erreichen der Volljährigkeit auch nach deutschem Recht als wirksame Ehe führen zu können.

Da das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen derartige Regelungen nicht enthält, hat das BverfG den im Rahmen des Vorlageverfahrens zur Überprüfung gestellten Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB für mit der Ehefreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt.

 

Nichtigkeitserklärung noch verfassungsferner als vorübergehende Weitergeltung

Der Verstoß der vorgelegten Vorschrift gegen Art. 6 Abs. 1 GG führe allerdings nicht dazu, diese für nichtig zu erklären. Das BVerfG führt aus, dass die Nichtigkeitserklärung, die anders als die Erklärung der Unvereinbarkeit nicht mit einer Fortgeltungsanordnung verbunden werden kann, einen Zustand herbeiführen würde, der mit ungeklärten rechtlichen Verhältnissen einherginge und noch verfassungsferner wäre als der bei vorübergehender Weitergeltung des verfassungswidrigen Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB.

Daher bedürfe es neben der Weitergeltungsanordnung normvertretenden Übergangsrechts. Dieses sei darauf zu beschränken, die zur Verfassungswidrigkeit führenden Umstände zu vermeiden oder zumindest in ihren Wirkungen abzuschwächen, um einem Zustand entgegenzuwirken, der verfassungsferner wäre als bei Nichtigkeit und Unanwendbarkeit der verfassungswidrigen Norm. Danach bedarf es einer Übergangsregelung lediglich für unterhaltsrechtliche Fragen der weiterhin inländisch unwirksamen Ehe.

Eine ausführlichere Zusammenfassung der Ausführungen des BVerfG lesen Sie in der Pressemitteilung Nr. 36/2023 vom 29.3.2023. Den Volltext der Entscheidung hat das BVerfG bereits veröffentlicht.

 

Zum Weiterlesen:

"Das Verbot von „Kinderehen“ – die deutsche Regelung aus rechtsvergleichender Sicht" von Reuß in FamRZ 2019, 1 (FamRZ-digital | FamRZ bei juris)

"Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen – eine kritische Würdigung" von Weller / Thomale / Hategan / Werner in FamRZ 2018, 1289 (FamRZ-digital | FamRZ bei juris)

Ermessen bei Aufhebung einer Minderjährigenehe: AmtsG Frankenthal, Beschl. v. 15.2.2018 – 71 F 268/17 in FamRZ 2018, 749 (m. Anm. Löhnig) [FamRZ-digital | FamRZ bei juris] und AmtsG Nordhorn Beschl. v. 29.1.2018 – 11 F 855/17 E1 in FamRZ 2018, 750 (FamRZ-digital | FamRZ bei juris)

"Die verbotene Kinderehe" von Schwab in FamRZ 2017, 1369 (FamRZ-digital | FamRZ bei juris)

"Das Verbot der Kinderehe nach neuem Recht aus kollisionsrechtlicher Sicht" von Hüßtege in FamRZ 2017, 1374 (FamRZ-digital | FamRZ bei juris)

Kinderehen in Deutschland - Stellungnahme der Kinderrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstags e. V. [DFGT] v. 29.11.2016; Berichterstattung: Prof. Dr. Michael Coester in FamRZ 2017, 77-80 (FamRZ-digital | FamRZ bei juris)

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