Heute im Bundestag Nr. 378 vom 20.05.2017
In der öffentlichen Anhörung des Familienausschusses stößt der von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (18/12330) und der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel "Stark ins eigene Leben - Wirksame Hilfen für junge Menschen" (18/12374) überwiegend auf Kritik bei den Experten.
Forschungsstand und Erfahrungswissen blieben unbeachtet
Nach Ansicht des Soziologen Wolfgang Hammer entspricht der Gesetzentwurf nicht dem Forschungsstand und dem Erfahrungswissen über Stärken und Fehlentwicklungen. So werde u.a. der 15. Kinder- und Jugendbericht kaum Berücksichtigt. Während Hammer neben dem Stopp des Gesetzgebungsverfahrens und eine Enquete-Kommission für eine breit angelegte Reform der Kinder- und Jugendhilfe in der kommenden Legislaturperiode forderte, zeigte sich Jörg M. Fegert von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie gemäßigter. Die konkreten Verbesserungen im Gesetzentwurf vor allem für Pflegekinder sollten umgesetzt werden. Er kritisierte dagegen, dass mit dem Gesetzgebungsverfahren die ursprüngliche anvisierte "Große Lösung" bei der Reform des SGB VIII aus Anlass der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und der UN-Behindertenrechtskonvention nicht realisiert werde. In der kommenden Legislaturperiode müsse sich der Gesetzgeber diesem Problem erneut annehmen.
Keine Verbesserung der Rückführungsquote
Die Regelungen des Gesetzentwurfs zu Pflegekindern wurden von Seiten der Familientherapeutin Marie-Luise Conen beanstandet. Erneut bliebe die Forderung von Experten unbeachtet, Kinder und ihre Herkunftsfamilien zu stärken. Es fehle eine verbindliche Regelung, die eine gezielte Rückführung von Kindern aus Pflegefamilien in ihre Herkunftsfamilien ermögliche. Der Gesetzentwurf schwäche die Stellung der leiblichen Eltern in einem hohen Maß und ignoriere die Bindungen der Kinder zu ihnen. Mit einer Rückführungsquote von 5% sei Deutschland ein Schlusslicht im internationalen Vergleich. Auch der Sozialpädagoge Reinhard Wiesner von der Freien Universität Berlin mahnte an, dass der Staat zunächst die Verpflichtung habe, die strukturellen Rahmenbedingungen für die Herkunftsfamilien zu verbessern. Stattdessen verlagere sich der Schutz von Kindern zunehmend in Richtung sozialer Kontrolle.
Ombudsstellen werden begrüßt
Positiv bewertet wurde von den Sachverständigen die Einrichtung von Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe. Der Rechtswissenschaftler Ludwig Salgo von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main plädierte allerdings dafür, aus der Kann-Bestimmung im Gesetzentwurf eine Soll-Bestimmung zu machen. Unabhängige Ombudsstellen hätten sich bewährt und seien anerkannt.
Ehrenamtliche Arbeitwerde erschwert
Eine ausufernde Bürokratie in der Kinder- und Jugendarbeit und bei der Arbeit mit Familien bemängelte u.a. der Rechtsanwalt Thomas Mörsberger sowie Lisi Maier vom Deutschen Bundesjugendring und Stefan Funck vom Landesjugendamt des Saarlandes am Beispiel der ehrenamtlichen Jugendarbeit. So erschwere die geplante Ausweitung der Meldepflichten für erlaubnispflichtige Einrichtungen auch auf nicht erlaubnispflichtige Einrichtungen die ehrenamtliche Arbeit unnötig und stehe in keinem Verhältnis zum Regelungsbedarf.
Problem der Kostenerstattung der Länder an die Kommunen
Des Weiteren stieß auch die geplante Öffnungsklausel für die Bundesländer bei vorläufigen Leistungen an unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auf Ablehnung. Nach dieser Regelung könnte die Kostenerstattung der Länder an die Kommunen vom Abschluss eines Rahmenvertrages abhängig gemacht werden, monierten Ulrike Schwarz vom Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Sonja Schmidt von der Diakonie Deutschland. Schwarz sieht in dieser Regelung Diskriminierung und den Weg zu einer Zwei-Klassen-Jugendhilfe. Nach Ansicht der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände kommt auf die Kommunen als Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe eine massive Ausgabenerhöhung durch das Gesetzesvorhaben zu. Die Kosten seien im Entwurf nicht korrekt benannt. "Wir erwarten volle Kostentransparenz und einen vollständigen Ausgleich der finanziellen Mehrbelastungen für die Kommunen", sagte Stefan Hahn vom Deutschen Städtetag.
Quelle: Aktuelle Meldungen des Bundestags (hib), Nr. 378/2017