EuGH, Urteil v. 23.5.2019 in der Rs. C-658/17
Die Notare in Polen, die auf gemeinsamen Antrag aller Beteiligten des notariellen Verfahrens eine Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung errichten, sind keine „Gerichte“ im Sinne der Erbsachenverordnung. Folglich könne diese Urkunde keine in einer Erbsache erlassene „Entscheidung“ sein. Sie sei jedoch eine „öffentliche Urkunde“. Dies hat der EuGH am 23.5.2019 in der Rs. C-658/17 entschieden.
Erblasser war im deutsch-polnischen Grenzgebiet tätig
Der 2016 verstorbene Vater von WB war polnischer Staatsangehöriger und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen. WB war Beteiligte des Verfahrens über den Nachlass ihres Vaters vor Frau PB, einer Notarin in Polen. Die Notarin erstellte am 21.10.2016 eine Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung. Der Erblasser war ein Unternehmer, der eine wirtschaftliche Tätigkeit im deutsch-polnischen Grenzgebiet ausübte. WB wollte wissen, ob er bei einer oder mehreren deutschen Banken über Guthaben verfügte, und, wenn ja, über den Betrag dieser möglicherweise in den Nachlass fallenden Guthaben informiert werden.
Zu diesem Zweck beantragte WB die Aushändigung einer Ausfertigung der von der Notarin errichteten Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung und eine Bescheinigung, dass diese Urkunde eine in einer Erbsache erlassene Entscheidung im Sinne des Unionsrechts sei. Für den Fall der Ablehnung dieses Antrags beantragte WB die Erteilung einer Ausfertigung der Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung und eine Bescheinigung, dass diese Urkunde eine öffentliche Urkunde in Erbsachen sei.
„Entscheidung“ oder „öffentliche Urkunde“?
Mit Protokoll vom 7.6.2017 lehnte ein in der Kanzlei von Frau PB tätiger Notarvertreter diese Anträge ab. Er stellte im Wesentlichen fest, dass die Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung eine „Entscheidung“ im Sinne des Unionsrechts sei. Er könne keine Bescheinigung nach dem im Unionsrecht vorgeschriebenen Muster ausstellen, da die Republik Polen der Kommission die Liste der Behörden und Angehörigen der Rechtsberufe nicht mitgeteilt habe. Zum Hilfsantrag von WB wies der Notarvertreter darauf hin, dass die Einstufung der Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung als „Entscheidung“ ihre Einstufung als „öffentliche Urkunde“ ausschließe, so dass die Ausstellung der entsprechenden Bescheinigung nach dem im Unionsrecht vorgeschriebenen Muster nicht möglich sei.
WB legte bei dem Sąd Okręgowy w Gorzowie Wielkopolskim (Bezirksgericht Gorzów Wielkopolski, Polen) eine Beschwerde ein. Dieses Gericht möchte wissen, ob ein polnischer Notar, der mit der Errichtung einer Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung betraut ist, gerichtliche Funktionen ausübt. Es fragte zudem, ob das von ihm errichtete Schriftstück eine öffentliche Urkunde ist, von der auf Antrag jeder Person, die an der Verwendung dieses Schriftstücks in einem anderen Mitgliedstaat interessiert ist, eine Ausfertigung zusammen mit dem in der Verordnung Nr. 650/20121 genannten Formblatt erteilt werden kann.
Keine „Entscheidung“ im Sinne der Verordnung
In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest: Es könne nur einen Hinweischarakter haben, wenn Polen nicht mitgeteilt hat, dass die Notare gerichtliche Funktionen ausüben. Ihre Einstufung als „Gericht“ schließe dies nicht aus, wenn sie die in der genannten Verordnung vorgesehenen Anforderungen erfüllen.
Nach Ansicht des Gerichtshofes ist dies aber nicht der Fall. Damit davon ausgegangen werden könne, dass eine Behörde angesichts der besonderen Natur der von ihr ausgeübten Tätigkeit eine Rechtsprechungstätigkeit ausübt, müsse sie die Befugnis haben, einen möglichen Rechtsstreit zu entscheiden. Dies sei nicht der Fall, wenn die Befugnis des in Rede stehenden Angehörigen der Rechtsberufe allein vom Willen der Beteiligten abhängt.
Da die notariellen Tätigkeiten in Bezug auf die Ausstellung von Urkunden über die Bestätigung der Erbenstellung auf einstimmigen Antrag der Beteiligten unbeschadet der Vorrechte des Gerichts bei fehlender Einigkeit der Beteiligten ausgeübt werden, übten die polnischen Notare keine Entscheidungsbefugnis aus. Da eine Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung nicht von einem Gericht ausgestellt wird, sei sie keine in einer Erbsache erlassene „Entscheidung“ im Sinne der Verordnung.
Bestätigung der Erbenstellung ist „öffentliche Urkunde“
Ferner weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Notare nach polnischem Recht ermächtigt sind, Schriftstücke in Erbsachen auszustellen. Die Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung werde förmlich als öffentliche Urkunde eingetragen. Diese Urkunde habe dieselben Wirkungen wie ein rechtskräftiger Beschluss über die Feststellung des Erbschaftserwerbs. Im Übrigen führe der Notar Prüfungen durch, die dazu führen können, dass er die Errichtung der Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung ablehnt, so dass die Authentizität dieses Schriftstücks sich auf ihre Unterschrift und ihren Inhalt beziehe. Eine Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung sei daher eine öffentliche Urkunde im Sinne der genannten Verordnung.
Quelle: Pressemitteilung Nr. 67/19 des EuGH vom 23.5.2019