Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-673/16
Der Begriff „Ehegatte“ umfasse im Hinblick auf die Aufenthaltsfreiheit der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen auch die Ehegatten desselben Geschlechts. Diese Auffassung vertritt Generalanwalt Wathelet in seinen Schlussanträgen vom 31.5.218 in der Rechtssache Relu Adrian Coman u. a. / Inspectoratul General pentru Imigrări u. a. (Rs. C-673-16). Es stehe den Mitgliedstaaten zwar frei, die Ehe zwischen Personen desselben Geschlechts zu erlauben oder nicht. Sie dürften die Aufenthaltsfreiheit eines Unionsbürgers aber nicht dadurch behindern, dass sie seinem gleichgeschlechtlichen Ehegatten, der Staatsangehöriger eines Nicht-EU-Landes sei, ein Daueraufenthaltsrecht in ihrem Hoheitsgebiet verweigern.
Rumänischer Verfassungsgerichtshof rief EuGH an
Herr Relu Adrian Coman, ein rumänischer Staatsangehöriger, und Herr Robert Clabourn Hamilton, ein amerikanischer Staatsangehöriger, lebten in den Vereinigten Staaten vier Jahre zusammen. 2010 heirateten sie in Brüssel. Im Dezember 2012 beantragten Herr Coman und sein Ehemann bei den rumänischen Behörden die Ausstellung der notwendigen Unterlagen dafür, dass sich Herr Coman mit seinem Ehegatten auf Dauer in Rumänien aufhalten und dort arbeiten konnte. Dieser Antrag war auf die Richtlinie über die Ausübung der Freizügigkeit gestützt. Diese erlaubt es dem Ehegatten eines Unionsbürgers, der von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat, seinem Ehegatten in den Mitgliedstaat nachzuziehen, in dem dieser sich aufhält.
Die rumänischen Behörden versagten Herrn Hamilton ein solches Aufenthaltsrecht. Dies erfolgte insbesondere mit der Begründung, dass er in Rumänien nicht als Ehegatte eines Unionsbürgers eingestuft werden könne, weil Rumänien die gleichgeschlechtliche Ehe nicht anerkenne. Daraufhin erhoben Herr Coman und Herr Hamilton vor den rumänischen Gerichten Klage gegen diese Entscheidung der rumänischen Behörden. Der im Rahmen dieses Rechtsstreits mit einem Einwand der Verfassungswidrigkeit befasste Curtea Constituţională (Verfassungsgerichtshof, Rumänien) möchte vom Gerichtshof der Europäischen Union wissen, ob Herrn Hamilton als Ehegatten eines Unionsbürgers, der von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat, ein Daueraufenthaltsrecht in Rumänien zu gewähren ist.
Problem ist nicht Legalisierung der Ehe für alle
In seinen Schlussanträgen weist Generalanwalt Wathelet zunächst darauf hin, dass das rechtliche Problem, das im Mittelpunkt des Rechtsstreits stehe, nicht die Legalisierung der Ehe zwischen Personen desselben Geschlechts, sondern die Freizügigkeit der Unionsbürger sei. Zwar stehe es den Mitgliedstaaten frei, in ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung für Personen desselben Geschlechts die Ehe vorzusehen oder nicht. Sie müssten jedoch die Verpflichtungen beachten, denen sie aufgrund der Freizügigkeit der Unionsbürger unterliegen.
Da die Richtlinie zur Bestimmung der Eigenschaft eines „Ehegatten“ keinerlei Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten enthalte, müsse dieser Begriff in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten. Der Begriff „Ehegatte“ im Sinne der Richtlinie knüpfe an eine Beziehung an, die auf der Ehe beruhe, sei aber hinsichtlich des Geschlechts der betreffenden Personen neutral und unabhängig vom Ort der Eheschließung. Im Licht der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Hinblick auf die Erlaubtheit der Ehe zwischen Personen desselben Geschlechts im letzten Jahrzehnt, kann nach Auffassung des Generalanwalts an der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach „der Begriff ‚Ehe‘ nach in allen Mitgliedstaaten geltender Definition eine Lebensgemeinschaft zweier Personen verschiedenen Geschlechts bezeichnet“, nicht mehr festgehalten werden.
Gleichgeschlechtliches Paar hat Familienleben
Zudem hänge der Begriff „Ehegatte“ notwendig mit dem Familienleben zusammen, das in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in gleicher Weise geschützt sei. Der Generalanwalt weist hierzu darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) befunden habe, dass ein gleichgeschlechtliches Paar ein Familienleben haben könne. Darüber hinaus sei gleichgeschlechtlichen Paaren die Möglichkeit einzuräumen, eine gesetzliche Anerkennung und die rechtliche Absicherung ihrer Partnerschaft zu erlangen. Der EGMR habe zudem befunden, dass im Bereich der Familienzusammenführung das Ziel des Schutzes der traditionellen Familie nicht eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung rechtfertigen könne.
Vor diesem Hintergrund vertritt der Generalanwalt die Auffassung, dass der Begriff „Ehegatte“ im Sinne der Richtlinie auch die Ehegatten desselben Geschlechts umfasse. Folglich könne sich eine solche Person auch dauerhaft im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufhalten, in dem sich sein Ehegatte als Unionsbürger niedergelassen habe, nachdem er von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht habe. Dieses Ergebnis gelte auch für den Herkunftsmitgliedstaat dieses Bürgers, wenn er dorthin zurückkehre, nachdem er sich dauerhaft in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten habe, in dem er ein Familienleben entwickelt oder gefestigt habe – wie es bei Herrn Coman und Herrn Hamilton der Fall sei.
Quelle: Pressemitteilung Nr. 73/18 des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 31.5.2018