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Der BGH zur Bindungswirkung von Patientenverfügungen

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Pressemitteilung Nr. 040/2017

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich erneut mit den Anforderungen befasst, die eine bindende Patientenverfügung im Zusammenhang mit dem Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen erfüllen muss (Beschluss v. 8.2.2017 - XII ZB 604/ 15).

Ausgangssituation – Patientenverfügung der Betroffenen

Die im Jahr 1940 geborene Betroffene erlitt im Mai 2008 einen Schlaganfall und befindet sich seit einem hypoxisch bedingten Herz-Kreislaufstillstand im Juni 2008 in einem wachkomatösen Zustand. Sie wird seitdem über eine Magensonde künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt. Die Betroffene unterschrieb bereits 1998 ein mit "Patientenverfügung" betiteltes Schriftstück. Wenn keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, oder aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe, sollten "lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben". In der Zeit bis zu ihrem Schlaganfall äußerte sich die Betroffene mehrfach gegenüber verschiedenen Familienangehörigen und Bekannten, dass sie nicht künstlich ernährt werden wolle. Lieber sterbe sie. In der Zeit zwischen dem Schlaganfall und dem späteren Herz-Kreislaufstillstand war es der Betroffenen einmalig möglich, trotz Trachealkanüle zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie ihrer Therapeutin: "Ich möchte sterben." 2012 bestellte das Amtsgericht den Sohn und den Ehemann der Betroffenen zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Betreuern. Im Einvernehmen mit dem bis dahin behandelnden Arzt, ist der Sohn seit 2014 der Meinung, die künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr solle eingestellt werden, da dies dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen der Betroffenen entspreche. Ihr Ehemann lehnt dies ab. Den Antrag der durch ihren Sohn vertretenen Betroffenen auf Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr hat das Amtsgericht abgelehnt. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerden der Betroffenen und ihres Sohnes hat der Bundesgerichtshof die angefochtene Entscheidung aufgehoben und das Verfahren an das Landgericht zurückverwiesen.

Rechtliche Grundlagen

Grundsätzlich bedarf der Widerruf der Einwilligung in die mit Hilfe einer PEG-Magensonde ermöglichten künstlichen Ernährung nach § 1904 Abs. 2 BGB der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn durch den Abbruch der Maßnahme die Gefahr des Todes droht. Diese ist jedoch dann nicht erforderlich, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer bindenden Patientenverfügung nach § 1901 a Abs. 1 BGB niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. Eine schriftliche Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB entfaltet aber nur dann unmittelbare Bindungswirkung, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, bei Abfassung der Patientenverfügung noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Dabei dürfen die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung aber auch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht.

Präzisierung der bisherigen Rechtsprechung

Der Bundesgerichtshof hat bereits in seinem Beschluss vom 6. Juli 2016 (XII ZB 61/16, FamRZ 2016, 1671) zur erforderlichen Bestimmtheit der Patientenverfügung entschieden. Zwar enthält die Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung, doch kann die erforderliche Konkretisierung aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen. In der Präzisierung dieser Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof nun ausgesprochen, dass sich die erforderliche Konkretisierung im Einzelfall auch bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben kann. Ob in solchen Fällen eine hinreichend konkrete Patientenverfügung vorliegt, ist dann durch Auslegung der in der Patientenverfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln.

Aufhebung der angefochtenen Entscheidung

Da das Beschwerdegericht sich nicht ausreichend mit der Frage befasst hat, ob sich der von der Betroffenen errichteten Patientenverfügung eine wirksame Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung entnehmen lässt, hat der BGH die angefochtene Entscheidung aufgehoben. Denn die Betroffene hat in der Patientenverfügung u.a. folgende Festlegungen getroffen:

  • ihr Wille zur Behandlungssituation ist u. a. an die medizinisch eindeutige Voraussetzung geknüpft, dass bei ihr keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht.
  • Konkretisierung der ärztlichen Maßnahmen, die sie u.a. in diesem Fall wünscht oder ablehnt
  • Behandlung und Pflege sollen auf Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist.

Diese Festlegungen in der Patientenverfügung könnten dahingehend auszulegen sein, dass die Betroffene im Falle eines aus medizinischer Sicht irreversiblen Bewusstseinsverlusts wirksam in den Abbruch der künstlichen Ernährung eingewilligt hat. Ob der derzeitige Gesundheitszustand der Betroffenen im Wachkoma auf diese konkret bezeichnete Behandlungssituation zutrifft, hat das Beschwerdegericht bislang nicht festgestellt. Dies wird es nachholen müssen.

Sollte das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der derzeitige Gesundheitszustand der Betroffenen nicht den Festlegungen der Patientenverfügung entspricht, wird es erneut zu prüfen haben, ob ein Abbruch der künstlichen Ernährung dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen entspricht. Dieser ist anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen, ethischer oder religiöser Überzeugungen oder sonstiger persönlicher Wertvorstellungen der Betroffenen. Entscheidend ist dabei, wie die Betroffene selbst entschieden hätte, wenn sie noch in der Lage wäre, über sich selbst zu bestimmen.

Vorinstanzen:

LG Landshut - Beschluss vom 17. November 2015 - 64 T 1826/15

AG Freising - Beschluss vom 29. Juni 2015 - XVII 157/12

 

Die Entscheidung wird veröffentlicht in FamRZ 2017, Heft 9.

Quelle: Bundesgerichtshof Pressemitteilung Nr. 040/ 2017 vom 24. März 2017

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