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Art. 8 garantiert kein Recht auf Großelternschaft

EuGHMR erklärt entsprechende Klage für unzulässig

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung im Fall Petithory Lanzmann . / . Frankreich (Beschwerde Nr. 23038/19) die Klage einstimmig für unzulässig erklärt. Der Fall betraf den Antrag der Mutter von Claude Lanzmann, das Sperma ihres verstorbenen Sohnes in eine Einrichtung zu überführen, die in der Lage ist, medizinisch unterstützte Fortpflanzung oder Leihmutterschaft zu arrangieren. Das Recht des Einzelnen, zu entscheiden, wie und wann er Elternteil wird, sei ein nicht übertragbares Recht, so der Gerichtshof. Artikel 8 garantiere zudem kein Recht darauf, Großeltern zu werden.

 

Verstorbener Sohn wollte unbedingt Vater werden

Die Klägerin, Dominique Petithory Lanzmann (P.L.), ist französische Staatsangehörige, geboren 1957 und lebt in Paris. Sie ist die Witwe von Claude Lanzmann, dem Journalisten, Schriftsteller und Regisseur des Films Shoah, der 2018 verstorben ist. Ihr Sohn starb 2017 an den Folgen eines Krebstumors, der 2014 diagnostiziert wurde. Sobald er von seiner Krankheit erfuhr, hatte ihr Sohn den Wunsch geäußert, Vater zu werden und Nachwuchs zu bekommen, auch im Falle seines Todes. In der Folge hatte er beim Centre d'études et de conservation des oeufs et du sperme (CECOS) am Pariser Cochin-Krankenhaus Samen deponiert, ein Zentrum in der Schweiz kontaktiert und andere Möglichkeiten in Betracht gezogen, seine Spermien einzulagern. Seine Pläne konnte er aber aufgrund seiner Krankheit nicht weiterverfolgen.

Im Frühjahr 2017 lehnte der Präsident des CECOS die Übermittlung eines Antrags von P.L. an die Biomedizin-Agentur für die Überführung des Spermas ihres Sohnes in eine Gesundheitseinrichtung in Israel, die zur Durchführung medizinisch unterstützter Fortpflanzung zugelassen ist, ab. P.L. stellte daraufhin einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Paris und verlangte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausfuhr des Spermas ihres Sohnes zu genehmigen. Sie machte geltend, dass die Verweigerung ihres Antrags ihr das Recht auf Ausübung des Privat- und Familienlebens, das sie als Großmutter anstrebe, und auf die Achtung des Wunsches ihres Sohnes genommen habe. Der Richter für Eilanträge lehnte den Antrag ab. Die Klägerin legte gegen diese Entscheidung Berufung beim Conseil d'État ein, der den Antrag ebenfalls ablehnte.

 

Indirektes sowie direktes Opfer?

In ihrer Klage vor dem EuGHMR berief sich die Antragstellerin auf Art. 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) EMRK: Es sei ihr unmöglich, Zugang zum Sperma ihres verstorbenen Sohnes zu erhalten, um entsprechend seinem letzten Willen eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung durch Spende an ein unfruchtbares Paar oder eine Leihmutterschaft zu veranlassen – beides Verfahren, die in Israel oder den Vereinigten Staaten zugelassen wären.

Das Gericht stellt nun fest, dass die Beschwerde der Klägerin in Wirklichkeit aus zwei verschiedenen Teilen bestand: Im ersten Teil machte sie geltend, dass sie im Namen ihres verstorbenen Sohnes ein indirektes Opfer sei. Im zweiten Teil behauptete sie, dass sie ein direktes Opfer sei, da ihr die Möglichkeit genommen worden sei, Großmutter zu werden.

 

Weder das eine noch das andere

Zu der Beschwerde, mit der der Status eines mittelbaren Opfers geltend gemacht wird, stellte das Gericht fest: Die von der Klägerin geltend gemachten Rechte beträfen das Recht ihres Sohnes, zu entscheiden, wie und wann er Elternteil wird. Dieses Recht gehöre aber zur Kategorie der nicht übertragbaren Rechte. Daher könne die Klägerin in dieser Hinsicht nicht geltend machen, dass sie im Namen ihres Sohnes Opfer einer Verletzung der Konvention geworden sei.

Auch den Status eines direkten Opfers erkannte ihr der EuGHMR nicht zu. Art. 8 garantiere kein Recht auf Großelternschaft, wie wertvoll auch immer das persönliche Bestreben der Klägerin sei, die genetische Linie fortzuführen. Das Gericht erklärte daher beide Teile der Klage für unzulässig.

Die Entscheidung liegt nur in französischer Sprache vor. Die Pressemitteilung finden Sie in englischer Sprache auf der Website des EuGHMR.

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