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Abgeleitetes Aufenthaltsrecht und Erwerb des Spätaussiedlerstatus

Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 20.11.2018 – 1 C 5.17

Der Zwang, für die Dauer des Aufnahmeverfahrens in das Aussiedlungsgebiet zurückzukehren, begründet für einen Aufnahmebewerber, der sich ohne Aufnahmebescheid auf der Grundlage eines von seinem ausländischen Ehegatten abgeleiteten Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhält, nicht stets eine besondere Härte. Dies hat das BVerwG in Leipzig heute entschieden.

 

Ehemann der Aufnahmebewerberin hat Aufenthaltserlaubnis

Die in Kiew geborene Klägerin hielt sich mit Unterbrechungen im Zeitraum von April 2010 bis September 2014 zu Studienzwecken erlaubt im Bundesgebiet auf. Nach ihrer Eheschließung im Oktober 2014 wurde ihr der Aufenthalt zur Herstellung bzw. Wahrung ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem ukrainischen Ehemann erlaubt. Bereits im Juli 2012 hatte sie ihre Aufnahme als Spätaussiedlerin aus den Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem Bundesvertriebenengesetz beantragt. Aufnahmeantrag, Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das OVG hat die Beklagte verpflichtet, der Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen. Ihrem Ehemann sei nach der Eheschließung zu Erwerbszwecken (wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität) eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Eine Verweisung der Klägerin auf die Rückkehr in ihr Herkunftsland für die Dauer der Durchführung des Aufnahmeverfahrens bewirke daher eine besondere Härte, denn sie stelle die Klägerin vor folgende Entscheidung: Entweder könne sie die eheliche Lebensgemeinschaft in Deutschland beibehalten und auf den Aussiedlerstatus verzichten. Alternativ könne sie auf nicht absehbare Zeit von einem ehelichen Zusammenleben abzusehen, um nach Rückkehr in das Aussiedlungsgebiet von dort das Aufnahmeverfahren mit dem Ziel durchzuführen, den Spätaussiedlerstatus zu erwerben. Die Rechtsprechung, die dies bei einer Ehe mit einem Ehepartner deutscher Staatsangehörigkeit anerkenne, sei auf die Ehe mit einem Ausländer, der über eine länger als ein Jahr gültige Aufenthaltserlaubnis verfügt, zu übertragen.

 

Vorliegen einer besonderen Härte ist Einzelfallentscheidung

Das BVerwG hat den Rechtsstreit an das OVG zur neuerlichen Prüfung des Vorliegens einer besonderen Härte i. S. des § 27 I S. 2 BVFG zurückverwiesen. Das Bestehen einer solchen beurteile sich für einen Aufnahmebewerber, der - wie die Klägerin - nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und dessen Ehegatte sich im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz befindet, nicht nach denselben Kriterien, die in Bezug auf einen volksdeutschen Aufnahmebewerber anzulegen sind, dessen Ehegatte Deutscher ist. Entscheide sich jener, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet auf ausländerrechtlicher Grundlage zu nehmen, so seien ihm die negativen vertriebenenrechtlichen Folgen dieser freien Entscheidung grundsätzlich zuzurechnen.

Ob es im Lichte des Art. 6 I GG ausnahmsweise unzumutbar sei, den Aufnahmebewerber, der zunächst auf ausländerrechtlicher Grundlage im Bundesgebiet Aufenthalt genommen hat, darauf zu verweisen, für die Dauer des Aufnahmeverfahrens entweder seine eheliche Lebensgemeinschaft im Ausland zu führen oder aber auf ein eheliches Zusammenleben zu verzichten, sei auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung im Einzelfall zu beurteilen. Hierbei seien neben dem Schutz öffentlicher Interessen u.a.

  • die zu erwartende Dauer des Aufnahmeverfahrens,
  • die Verfestigung des ausländerrechtlichen Status des Aufnahmebewerbers und seines Ehegatten,
  • ein etwaiges besonderes Angewiesensein eines Ehegatten auf den zwingend im Bundesgebiet zu leistenden Beistand des anderen Ehegatten
  • die Personensorge für minderjährige Kinder

zu berücksichtigen.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 80/2018 des BVerwG vom 20.11.2018

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