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Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften

Öffentliche Anhörung des Ausschusses Inneres und Heimat/am 26.9.2022

Am morgigen Donnerstag will der Bundestag über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (BT-Drucks. 20/2294) entscheiden. Mit der Gesetzesänderung sollen Regelungen für die elektronische Kommunikation zwischen Bürgern und Standesämtern geschaffen werden. In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses Inneres/Heimat nahmen am Montag die folgenden Sachverständigen Stellung:

  • Jonas Botta, Forschungsreferent am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Berlin
  • Hans Michael Heinig, Professor für Öffentliches Recht, Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Georg-August-Universität in Göttingen
  • Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
  • Winfried Kluth, Professor für Öffentliches Recht der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg
  • Isabell Peters, Professorin für E-Government und digitale Transformation an der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen
  • Dirk Siegfried, Rechtsanwalt und Notar aus Berlin
  • Volker Weber, Vorsitzender des Fachverbandes der Standesbeamten von Berlin e. V.

 

Religionszugehörigkeit erfassen?

Der Entwurf der Bundesregierung sieht eine Erfassung der Religionszugehörigkeit in Personenstandsurkunden nicht mehr vor. Dieser Punkt war es auch, der von den Sachverständigen am meisten diskutiert wurde. Hans Michael Heinig unterstrich, dass die Religionszugehörigkeit zwar nicht ins Personenstandswesen gehöre. Er wies aber auf die Signalwirkung hin, die eine Streichung für die Bürger habe, sei doch für viele das religiöse Bekenntnis Teil ihrer Identität, die sie auch gegenüber dem Staat aktenkundig machen wollten. Wenn man aus religionspolitischen Gründen für eine Erhaltung der Religionsangabe im Personenstandsregister argumentiere, müsse man diese Möglichkeit aber auch anderen Religionsgemeinschaften eröffnen.

Die Freiwilligkeit habe die Bedeutung des Eintrags der Religionszugehörigkeit im Personenstandsregister verstärkt, behauptete Winfried Kluth. Damit könne der Einzelne sein Verhältnis zum Staat zum Ausdruck bringen; es stehe nicht mehr die Neugier des Staates am Beginn des Eintrags. Der Gesetzgeber solle sorgsam damit umgehen und sich gut überlegen, ob er für eine mit nur 200.000 Euro pro Jahr bezifferte Ersparnis eine kulturell offensichtlich so bedeutsame Änderung vornehmen wolle.

Aus der standesamtlichen Praxis berichtete Volker Weber. Er plädierte dafür, Angaben zur Religionszugehörigkeit wegzulassen. „Momentan haben Standesbeamte laufend Diskussionen mit Antragstellern, warum bestimmte Religionen nicht eingetragen werden können.“ Entweder schwenke man auf eine Eintragung „auf Zuruf“ der Betroffenen um „ohne valide Daten“ und mache die Eintragung der Religion zu einer rein deklaratorischen Sache. Oder man streiche diese Rubrik aus dem Personenstandsregister. Ihm falle kein anderen EU-Land ein, in dem die Religionszugehörigkeit in das Personenstandsregister eingetragen werde.

Jonas Botta fügte an, dass die Streichung der bereits seit 2009 nur noch freiwilligen Religionsangabe als Bestandteil des Personenstandes kein Grundrechtseingriff und mit der Verfassung vereinbar sei. Der Verzicht im Gesetz sei sinnvoll und bringe eine Entlassung der Verwaltung mit sich.

 

Wo bleibt das dritte Geschlecht?

Um Antragsteller und Anzeigepflichtige bei

  • der Ausstellung von Personenstandsurkunden,
  • Ehefähigkeitszeugnissen,
  • der Anmeldung einer Eheschließung,
  • der Anzeige einer Geburt
  • der Anzeige eines Sterbefalls

zu entlasten, soll laut Gesetzentwurf künftig weitgehend auf die Vorlage urkundlicher Nachweise verzichtet werden können. Die Standesämter sollen die erforderlichen Daten in Zukunft in einem automatisierten Abrufverfahren aus den Personenstandsregistern anderer Standesämter anfordern können. Jonas Botta plädierte dafür, den Verzicht auf die Vorlage von Nachweisen nicht, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, dem Ermessen des Standesbeamten zu überlassen. Aus der Kann-Formulierung müsse eine Soll-Vorschrift werden.

Vor allem auf Fragen des Datenschutzes bei der Gesetzesänderung ging Ulrich Kelber ein. Es müsse darum gehen, eine transparente und verpflichtende Rechtsgrundlage für eine sichere Datenübermittlung zu schaffen. Automatisierte Abrufverfahren, wie sie der Gesetzentwurf vorsehe, bürgen immer erhöhte Datenschutzrisiken und Missbrauchsmöglichkeiten und zögen besondere Anforderungen an den Datenschutz nach sich.

Dirk Siegfried monierte, dass der Gesetzentwurf moderne Geschlechterrealität, die Transpersonen und gleichgeschlechtliche Eltern umfasse, nicht abbilde. Noch immer müssten sich Menschen, die das nicht wollten, in das Zweierschema von Mann oder Frau und Vater oder Mutter pressen lassen. Hier müsse dringend nachgearbeitet und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur „dritten Option“ umgesetzt werden. Gesetzgeber und Verwaltung sollten sich an den Grundsatz der „Wahrheit und Klarheit“ erinnern. „Es gibt nicht nur Männer und Frauen.“

 

Vom Ziel her denken in Sachen Technologie und Organisation

Die technologischen und organisatorischen Potenziale der Verwaltungsmodernisierung mit dem neuen Gesetz voll auszuschöpfen, mahnte Isabell Peters an. Bei der aufwendigen Nacherfassung gelte es, Daten in einer so hohen Qualität aufzunehmen, dass sie dann auch für künftige Schritte der Datenverarbeitung weiterverwendet werden könnten. Sie plädierte außerdem dafür, für Authentifizierungs- und Identifizierungsverfahren auf marktübliche Produkte zu setzen, und sprach sich dafür aus, weiter bundeseinheitlich vorzugehen.

„Föderale Heterogenität bremst die Verwaltungsdigitalisierung“, sagte Peters. Insgesamt müsse man das analoge Verständnis von Verwaltung überwinden, „nicht in physischen Orten von Akten zu denken“, sondern stattdessen vom Ziel her, dezentrale Datenbanken als Austauschplattformen schaffen und die Vorteile der Prozessautomatisierung nutzen. Dann entfielen die Aufwände, von einem Ort zum anderen Daten abrufen zu müssen - und für die Bürger einige Gebühren. Die Bürger würden außerdem ermächtigt, selbst für ihre Daten zuständig zu sein, besser nachvollziehen zu können, was damit geschehe und zu entscheiden mit wem sie sie teilen wollten.

 

Quelle: Heute im Bundestag (hib) Nr. 483/2022 vom 26.9.2022

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