Heute im Bundestag Nr. 275 vom 27.04.2017
Eine öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/11240) "zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten" hat ergeben, dass die Beschränkung der medizinischen Zwangsbehandlungen per Gesetz auf das unabdingbare Maß offenbar schwierig ist. Obwohl die Sachverständigen diesen Gesetzentwurf im Grundsatz ganz überwiegend begrüßten, zweifelten sie doch an seiner Wirksamkeit.
Gesetz soll Regelungslücke schließen
In dem Gesetz geht es um betreute Personen, "die einer ärztlichen Maßnahme mit natürlichem Willen widersprechen, obgleich sie auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können", die aber "ohne die medizinisch indizierte Behandlung einen schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden erleiden oder sogar versterben".
Nach geltendem Recht kann bisher der Betreuer eine solche Zwangsbehandlung "nur im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung", also in einer geschlossenen Anstalt, veranlassen. In den Fällen, in denen der Betreute nicht in der Lage oder willens ist, sich durch Flucht zu entziehen, eine "freiheitsentziehende Unterbringung" also nicht geboten ist, kann auch die notwendige Behandlung nicht erzwungen werden. Das Bundesverfassungsgericht habe nun entschieden, "dass diese Schutzlücke mit der grundgesetzlichen Schutzpflicht des Staates unvereinbar ist". Daher soll nun "die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppelt" werden.
Kritik der Sachverständigen
Verschiedene Sachverständige führen aus, dass es viele Zwangsbehandlungen gebe, die auch dem geltenden Recht widersprächen. Unter anderem läge das an unzureichenden Gutachten, auf die Betreuungsrichter ihre Entscheidungen gründeten.
- Volker Lipp (Göttinger Rechtsprofessor): bei körperlichen Erkrankungen seien die psychiatrischen Gutachter nicht immer qualifiziert, die Notwendigkeit einer Zwangsbehandlung zu beurteilen. Das Gesetz müsse für solche Fälle einen zweiten, fachmedizinischen Gutachter verlangen.
- Peter Fölsch (Deutscher Richterbund): einem Richter werde 104 Minuten Bearbeitungszeit für die Entscheidung über eine Zwangsbehandlung zugestanden. Dies sei für eine fundierte Entscheidung viel zu wenig
- Antje Welke (Justiziarin der Bundesvereinigung Lebenshilfe): "In der Praxis läuft vieles anders, als es im Gesetz steht". Sie fürchte, dass das auch bei dem neuen Gesetz so bleibe.
Fehlende Regelungen im Gesetzentwurf
Positiv bewerteten Sachverständige, den im Gesetzentwurf vorgesehenen ausdrücklichen Vorrang von Patientenverfügungen, mit dem das Selbstbestimmungsrecht von Betreuten gestärkt werden soll. Der Leiter einer psychiatrischen Klinik in Berlin, Andreas Heinz, wies allerdings auf die fehlende Gesetzesregelung für Menschen hin, die in ihrer Patientenverfügung eine Unterbringung in der Psychiatrie ablehnen. Daneben forderten sowohl die Betreuungsrichterin Annette Loer als auch Gudrun Schliebener als Vorsitzende des Bundesverbands der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen auch Behandlungsvereinbarungen in das Gesetz aufzunehmen. Schliebener fordert zudem die Einrichtung eines bundesweiten Registers zu Zwangsmaßnahmen.
Lesen Sie zu diesem Thema auch die vorangegangene Stellungnahme des Bundesrates zur Zwangsbehandlung.
Quelle: Aktuelle Meldungen des Bundestags (hib), Nr. 275/2017