Gesundheitsausschuss hörte am 27.11.2018 Experten an
Bei einer Expertenanhörung des Gesundheitsausschusses zum Thema künstliche Befruchtung forderten Gesundheits- und Rechtsexperten eine Reform des Abstammungsrechts. Derzeit gebe es nur fragmentarische und unzureichende Regelungen – auch für die Reproduktionsmedizin –, obgleich diese Fragestellungen enorme praktische Bedeutung hätten und sich auf viele Rechtsgebiete erstreckten. Zudem müsse das Kindeswohl stärker in den Blickpunkt rücken. Die Experten äußerten sich in der Anhörung am Mittwoch im Bundestag sowie in schriftlichen Stellungnahmen.
Grüne und Linke legten Gesetzentwürfe vor
Konkret ging es um einen Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie um einen Antrag der Fraktion Die Linke. So sollte nach Ansicht der Grünen eine Übernahme der Kosten für eine künstliche Befruchtung durch die gesetzlichen Krankenkassen zukünftig auch bei
- eingetragenen Lebenspartnerschaften,
- verheirateten lesbischen Ehepartnern
- nichtehelichen Lebenspartnerschaften
ermöglicht werden.
Auch die Linksfraktion fordert einen erweiterten Anspruch auf Kostenerstattung für Kinderwunschbehandlungen. Derzeit würden unverheiratete Paare, lesbische Frauen und solche ohne dauerhafte Partnerschaft sowie aufgrund unterschiedlicher Zuschüsse auch Menschen mit geringem Einkommen diskriminiert. Die Abgeordneten fordern die volle Erstattung der Kosten für medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auch unter Verwendung von Spendersamen. Der Erstattungsanspruch müsse allen Menschen mit ungewollter, medizinisch begründeter Kinderlosigkeit eröffnet werden.
Bundesärztekammer: „Schwer überschaubares Normengeflecht“
Bisher ist die Kostenübernahme bei den Krankenkassen auf heterosexuelle Ehepaare begrenzt. Die Krankenkassen tragen bei Eheleuten 50 Prozent der Behandlungskosten, wobei nur die Ei- und Samenzellen des Paares (homologe Insemination) verwendet werden dürfen. Was die Restkosten betrifft, stellen Bund und Länder gemeinsam Mittel bereit. Mit einer 2016 in Kraft getretenen Änderung der Richtlinie des Bundesfamilienministeriums ,,zur Förderung von Maßnahmen der assistierten Reproduktion" ist die Bundesförderung auf unverheiratete Paare ausgedehnt worden.
Nach Ansicht der Bundesärztekammer (BÄK) sollten die rechtlichen Fragestellungen zuerst geklärt werden, bevor an eine Leistungsausweitung gedacht werde. So habe der BGH 2018 festgestellt, dass die Ehefrau der Kindesmutter nicht aufgrund der Ehe zum rechtlichen Mitelternteil des Kindes werde. Die Überschneidung wissenschaftlicher, ethischer und rechtlicher Aspekte führe zu einer besonderen Komplexität dieses medizinischen Gebietes, wobei auch "der hohe Rang des Kindeswohls" zu berücksichtigen sei. Es sei ein "schwer überschaubares Normengeflecht" entstanden.
Erstattungssysteme nicht gerecht
Ähnlich argumentierte die Rechtsanwältin Christina Hirthammer-Schmidt-Bleibtreu. Sie wies darauf hin, dass es eine frei wählbare Eltern-Kind-Zuordnung nicht gebe. Auch in einer heterosexuellen Partnerschaft gebe es noch Regelungslücken. Erkenne ein mit der Mutter nicht verheirateter Vater die Vaterschaft nicht an, bestehe trotz genetischer Verbindung keine Möglichkeit, ihn zum rechtlichen Vater des Kindes zu machen. Ebenso könne ein Samenspender nicht aufgrund seiner genetischen Vaterschaft als rechtlicher Vater festgestellt werden. Somit sollte die gesetzliche Festlegung der Elternschaft zwingend überarbeitet werden.
Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) erklärte, die möglichen Fallvarianten machten deutlich, dass den verschiedenen Erstattungssystemen kein einheitlicher Plan zugrunde liege. Das widerspreche den Gerechtigkeitsvorstellungen der Bürger. Eine Korrektur sei dringend geboten. Studien zeigten, dass die Motive bezüglich Kindern bei Lesben und Schwulen identisch und "ebenso existenziell" seien wie bei heterosexuellen Eltern.
Keine ausreichende Reflexion bei Kostenübernahme
Der Fachverband pro familia kritisierte, alleinstehende oder lesbische Frauen erlebten Ausgrenzung und eine Tabuisierung der Kinderwunschthematik. Unsinnige Reglementierungen und Rechtsunsicherheiten in Bezug auf Behandlungswünsche veranlassten Frauen und Paare, vermehrt Behandlungen im Ausland wahrzunehmen. Nötig sei ein neues Reproduktionsmedizingesetz. Der Verband sprach sich dafür aus, alleinstehenden und lesbischen Frauen eine heterologe Insemination zu ermöglichen und dafür einen gesetzlichen Anspruch zur partiellen Kostenübernahme zu schaffen.
Der Verein Spenderkinder äußerte sich hingegen kritisch zu einer möglichen Übernahme von Behandlungskosten einer Samenspende. Dies bedeute keine Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und nichtehelichen Paaren zu Ehepaaren, weil die Behandlungskosten für Samenspenden bei Eheleuten auch nicht übernommen würden. Bei einer Samenspende handele es sich um eine besondere Familiengründung zu dritt, die "mit psychologischen Herausforderungen" verbunden sei und nur nach gründlicher Aufklärung eingegangen werden sollte. Mit der Kostenübernahme würde die nötige Reflexion jedoch voraussichtlich entfallen und der Eindruck vermittelt, dass kein Unterschied zu einer homologen Insemination bestünde. Zu berücksichtigen sei überdies, dass bei einer Samenspende den so gezeugten Menschen der genetische Vater bewusst vorenthalten werde. Dies sei ethisch bedenklich.
Ärzte entscheiden in rechtlicher Grauzone
Der Frauenarzt Jan-Steffen Krüssel vom Universitätsklinikum Düsseldorf wies wie andere Sachverständige auf die in den Vorlagen unscharf formulierten Voraussetzungen für eine Kostenerstattung hin und nannte als Beispiele die Begriffe "medizinische Gründe", "auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft" oder "medizinisch begründete Kinderlosigkeit". Die Nutzung dieser unbestimmten Begriffe hätte zur Folge, dass Ärzte in einer rechtlichen Grauzone Entscheidungen treffen müssten. Insofern sei eine Rechtsentwicklung für die Reproduktionsmedizin erforderlich.
Das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht ist der Auffassung, dass die Gesetzesänderung zur Aufhebung der Grundrechtsverletzung geboten ist. Inwiefern die Voraussetzung einer stabilen Paarbeziehung ein geeignetes Förderkriterium ist, müsse darüber hinaus diskutiert werden. Viele Kinder wachsen heute mit nur einem Elternteil auf, so das DIJuF. Ob Alleinstehende, die sich bewusst für die Inanspruchnahme einer künstlichen Befruchtung entscheiden, nicht letztlich ebenso geeignete potenzielle Eltern wären, sei zumindest nicht ausgeschlossen. Die vollständige Stellungnahme des Instituts finden Sie hier.
Quelle: Heute im Bundestag (hib) Nr. 926 vom 28.11.2018