Sammelung von Rechtssprechungen in Bücher im Regal

Neuregelung des assistierten Suizids

Öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags

Sachverständige und Abgeordnete haben am Montag lang und intensiv in einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses über eine mögliche Neuregelung des assistierten Suizids und der Sterbebegleitung debattiert. Grundlage der Anhörung waren drei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe von Abgeordnetengruppen:

  • ein von 85 Abgeordneten um Dr. Lars Castellucci aus allen Fraktionen mit Ausnahme der AfD gezeichneter Entwurf eines „Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung“ (BT-Drucks. 20/904)
  • ein von 68 Abgeordneten um Katrin Helling-Plahr (FDP) aus den Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grüne, FDP und Die Linke gezeichneter Entwurf eines „Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe“ (BT-Drucks. 20/2332)
  • von 45 Abgeordneten um Renate Künast (B90/Die Grünen) aus den Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD gezeichneter Entwurf eines „Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben zur Änderung weiterer Gesetze“ (BT-Drucks. 20/2293)
  • fraktionsübergreifende Gruppenantrag „Suizidprävention stärken und selbstbestimmtes Leben ermöglichen“ (BT-Drucks. 20/1121)

Alle Entwürfe entstanden in Reaktion auf das Sterbehilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. In der Anhörung, die zwei Teile umfasste, äußerten sich folgende Sachverständige:

  • Prof. Dr. Helmut Frister, Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Heinrich Heine Universität Düsseldorf und Mitglied des Deutschen Ethikrates
  • Prof. Dr. Karsten Gaede, Rechtswissenschaftler, Bucerius Law School
  • Dr. iur. Gina Greeve, Rechtsanwältin, Deutscher Anwaltsverein
  • Prof. Dr. med. Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands
  • Prof. Dr. Christoph Knauer, Rechtsanwalt, Vorsitzender des Ausschusses Strafprozessrecht der Bundesrechtsanwaltskammer
  • Kerstin Kurzke, Leiterin der Hospiz- und Trauerarbeit des Malteser Hilfsdiensts in Berlin
  • PD Dr. med. habil. Ute Lewitzka, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
  • Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin, Mitglied des Deuschen Ethikrats
  • Heiner Melching, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin
  • Dr. Barbara Schneider, Chefärztin der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen LVR-Klinik Köln
  • Dr. Bettina Schöne-Seifert vom Institut Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Universität Münster
  • Maximilian Schulz
  • Prof. Dr. Arndt Sinn, Rechtswissenschaftler, Universität Osnabrück

 

Castellucci-Entwurf nicht verfassungsgemäß?

Von den fünf geladenen Sachverständigen mit juristischem Hintergrund, sprachen sich vier gegen den Gesetzentwurf der Gruppe um Lars Castellucci aus. Christoph Knauer prognostizierte, dass der Castellucci-Entwurf vor dem BVerfG keinen Bestand haben würde. Die vorgeschlagene Regelung enge die reale Zugangsmöglichkeit zum assistierten Suizid, den das Gericht angemahnt hatte, zu sehr ein, argumentierte Knauer. Das vorgesehene Beratungs- und Untersuchungsverfahren sei eine „Überregulierung“ und konterkariere die Vorgaben des Gerichts, führt der Jurist weiter aus. Auch Gina Greeve kritisierte, dass durch die strafrechtliche Regelung ein freiverantwortlich gefasster Sterbewunsch faktisch ins Leere laufen und unterbunden würde.

Karsten Gaede betonte, es gebe keine „verfassungsrechtliche Schutzpflicht“, die erneut eine allumfassende Strafrechtsnorm erzwinge. Die im Castellucci-Entwurf vorgesehenen Regelungen drohten vielmehr alle Beteiligten zu überfordern. In seiner schriftlichen Stellungnahme kritisierte auch Helmut Frister am Castellucci-Entwurf „teilweise überzogenen Verfahrensanforderungen“. Ob sich der Entwurf damit im Bereich der Verfassungswidrigkeit bewegt, wollte Frister in der Anhörung nicht beurteilen. Wie auch andere Sachverständige betonte er aber die Notwendigkeit einer Regulierung in dem Bereich. Das gelte etwa für den Schutz vor nicht freiverantwortlichen Suizidentscheidungen in Form einer Verpflichtung auf ein Verfahren zur Feststellung der Freiverantwortlichkeit. Dieses Verfahren müsse notwendigerweise schlank ausgestaltet werden.

 

Jeder Hilfswillige stellt sich Frage nach Strafbarkeit

Nur Arndt Sinn argumentierte, dass der Entwurf den Vorgaben des BVerfG entspreche. Er verfolge einen legitimen Zweck: die Autonomie der suizidwilligen Person und das Rechtsgut Leben zu schützen. Er regte allerdings eine regelungstechnische Änderung an. Sinn führte aus, dass es aktuell viel Unklarheit in dem Bereich gebe. Der Castellucci-Entwurf würde nicht über die geltende Rechtslage hinausgehen, aber zu mehr Transparenz über Gebote und Verbote führen. Dem Vorwurf, es gehe im Kern nicht um das Strafrecht, wies Sinn zurück. Am Ende stelle sich jeder Hilfswillige die Frage nach Strafbarkeit, sagte er.

Der Rechtswissenschaftler übte zudem Kritik an den beiden anderen Entwürfen - sie blieben hinter dem Schutzkonzept des Castellucci-Entwurfes zurück. Der Entwurf der Helling-Plahr-Gruppe sehe nur ein Recht auf Beratung vor. Damit werde der Schutz der autonomen Entscheidung nicht abgedeckt, argumentierte Sinn.

 

Einbindung von Behörden umstritten

Karsten Gaede kritisierte mit einem Argument die Entwürfe der Gruppen Castellucci und Helling-Plahr: Jenseits behandlungsbedürftiger Erkrankungen gebe es keinen Grund, eine alleinige Entscheidung der Ärzteschaft über die Verschreibung tödlich wirkender Medikamente vorzusehen. Mit Blick auf den Entwurf der Künast-Gruppe kritisierte Arndt Sinn die darin in einer bestimmten Konstellation vorgesehene Behördenentscheidung. Das sei eher abschreckend, als dass damit der Autonomie zur Geltung verholfen werde, sagte der Jurist. Auch Frister und Knauer sahen die Einbindung von Behörden eher kritisch.

Das im Künast-Entwurf vorgesehene Kriterium einer medizinischen Notlage, die den Einbezug von Ärztinnen und Ärzten vorsieht und in andere Fällen einen Einbezug von Behörden, sei praktikabel, sagte hingegen Gaede. Ähnlich argumentierte Gina Greeve. Die Differenzierung sei - auch hinsichtlich des Urteils des Verfassungsgerichts - zulässig und erforderlich. Kritischer sah die Unterscheidung zwischen schwerkranken Suizidwilligen und nicht-schwerkranken der Rechtsanwalt Knauer. Dies sei nicht vom Urteil des BVerfG gedeckt.

 

Umfassendes Schutzkonzept für Sterbewillige nötig

Die beiden Sachverständigen mit medizinischem Hintergrund sprachen sich insbesondere für eine stärkere Suizidprävention aus. Ute Lewitzka sagte, es brauche „vor einer Regelung der Suizidassistenz dringend eine Regelung der Suizidprävention im Sinne einer gesetzlichen Regelung.“ In ihrer Stellungnahme stellte sie sich hinter die im Castellucci-Entwurf vorgesehene mindestens zweimalige Beratung von Sterbewilligen durch Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie.

Barbara Schneider argumentierte aus der Perspektive der Suizidologie. Sie führte aus, dass Menschen in suizidalen Krisen in ihrer Wahrnehmung und Entscheidungsfindung eingeschränkt seien. Das bedeute aber nicht, dass ihre Freiverantwortlichkeit eingeschränkt sei. Darum bedürfe es eines Schutzkonzeptes für Menschen in suizidalen Krisen. Die bislang vorgestellten Konzepte für die Beratung sehe sie kritisch, führte Schneider aus. Menschen, die einen Suizid in Erwägung ziehen, bräuchten keine kurzen Gespräche, sondern langfristige Angebote und einfühlsame, vertrauensvolle, psychosoziale und gegebenenfalls therapeutische Begleitung, sagte die Chefärztin der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen.

 

Stärkere Beratung statt Suizidhilfe

Träger des Gesundheits- und Sozialwesens dürften nicht dazu gezwungen werden, Suizidhilfe in ihren Einrichtungen durchzuführen beziehungsweise zu dulden. Dies betonten Winfried Hardinghaus und Kerstin Kurzke aus Sicht der Hospizarbeit. Beide berichteten zudem aus ihrer Berufspraxis und forderten eine deutliche Stärkung der Palliativ- und Hospizarbeit sowie der Suizidprävention. Aus medizinethischer Sicht beschrieb Bettina Schöne-Seifert den grundsätzlichen Konflikt in der Debatte. Sie sprach sich ferner für eine Beratungspflicht aus und betonte die Notwendigkeit, Ärztinnen und Ärzte in den Prozess einzubeziehen.

Maximilian Schulz schilderte seine Sicht auf die Sterbehilfe, zu der auch öffentlich im „Spiegel“ Stellung bezogen hatte: „Die ideale Sterbehilfe bedeutet für mich Lebensqualität! Sie schenkt mir Zeit, die ich nicht darauf verwenden muss, die Art und den Zeitpunkt eines würdigen Todes entweder strafrechtlich abzustimmen oder von meiner medizinischen Notlage abhängig machen zu müssen.“

 

Akzeptanz des Rechts auf Suizid als Grundlage der Suizidrävention

Der fraktionsübergreifende Gruppenantrag zur Stärkung der stößt bei Sachverständigen auf Zustimmung. Das wurde im zweiten Teil der Anhörung deutlich. Frister nannte es richtig, wenn in dem Antrag davon die Rede sei, dass die Akzeptanz des Rechts auf Suizid Grundlage der Suizidprävention sei. Das bedeute aber auch, das Suizidprävention „nicht mehr eine Prävention um jeden Preis ist, sondern die Funktion hat, Entscheidungsspielräume wieder zu eröffnen und eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen“. Der Professor sprach sich dafür aus, die durch die Entscheidung des BVerfG nötig gewordene Neuregelung der Suizidassistenz und die Suizidprävention einheitlich zu behandeln und einer gesetzlichen Regelung zuzuführen.

Professor Lob-Hüdepohl sagte, Suizidprävention umfasse ein breites Spektrum an vorsorgenden und vorbeugenden Interventionen und Handlungsfeldern. Sie diene nicht der Verhinderung von Suiziden sondern der Vorbeugung und Verhinderung von Lebenslagen, in denen sich Menschen genötigt sehen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Suizidprävention müsse sehr niedrigschwellig sein, aufklären und die gesamte Bevölkerung in den Blick nehmen. Der Antrag greife wesentliche Aspekte der genuin ethisch gebotenen Suizidprävention auf, befand er. Es brauche eine Normalisierung, die zu Enttabuisierung und zu Entstigmatisierung führe. Sie müsse aber abgegrenzt werden von einer Normalisierung, „die auf eine schleichende Gewöhnung hinausläuft“.

 

Suizidprävention kostet Geld

Auch Heiner Melching bewertete den Antrag positiv. Als Palliativmediziner sei er geübt im Umgang mit Sterbenden und mit Sterbewünschen. „Die Hospiz- und Palliativversorgung leistet nach unserem Verständnis Prävention.“ Anders als Professor Frister sprach er sich für eine getrennte Betrachtung dieses „wunderbaren Entwurfes“ aus. Dies tue er schon aus pragmatischen Gründen, damit im Falle einer Verfassungsklage gegen ein Sterbehilfegesetz die Regelung zur Suizidprävention nicht ausgehebelt werden kann.

Barbara Schneider forderte, die Arbeit der in der Suizidprävention Tätigen nicht nur ideell zu würdigen, sondern auch finanziell abzusichern. Es sei nicht vermittelbar, wenn es auf der einen Seite ein staatlich finanziertes Beratungsnetz für den Zugang zum attestierten Suizid geben soll - Beratungsstellen und Angebote, die den Menschen in Krisen das Leben und ihre Selbstbestimmung ermöglichen wollten, aber große Schwierigkeiten hätten, ihr Angebot aufrechtzuerhalten.

 

Keine Sabotage freier Suizidvorhaben

Bettina Schöne-Seifert sagte, der Antrag verdiene jede Zustimmung. Er greife Themen auf, deren Klärung längst überfällig seien - etwa die Finanzierung, die Forschungsausstattung und die Etablierung von Beratungsstellen. Der Antrag sei aber weitgehend unabhängig von der Suizidbegleitungsfrage, sagte sie. Es müsse darum gehen, möglichst viele unfreie Suizide zu verhindern. Das könne durch Prävention gelingen und sei auch ein Ziel dieses Antrags.

Ein zweites Ziel sei es, freie Suizidwünsche in freie Lebenswünsche zu verwandeln. Gleichzeitig gelte es aber auch, freie Suizidvorhaben nicht zu sabotieren. „Diese Ziele dürfen nicht miteinander verrechnet oder zusammengeführt werden“, sagte sie. Wenn es ein liberaleres Suizidhilfegesetz gebe, was sie ganz stark favorisiere, werde es mehr Suizide geben. „Darauf müssen wir gefasst sein und können das nicht hinterher als Versagen dieses Ansatzes abstempeln“, machte Schöne-Seifert deutlich.

 

Quelle: Heute im Bundestag (hib) Nr. 696 vom 29.11.2022

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