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Häusliche Gewalt: 3. GREVIO-Bericht veröffentlicht

Stärken und Schwächen bei Umsetzung der Istanbul Konvention

Viele Länder schützen Kinder und Opfer häuslicher Gewalt nicht ausreichend. Das stellt GREVIO, das Expertengremium, das die Umsetzung der Istanbul-Konvention überwacht, fest. Es hat seinen Jahresbericht veröffentlicht, der sich auf das Sorgerecht für Kinder, Umgangsrecht und häusliche Gewalt konzentriert und auf den Ergebnissen der bisherigen Bewertungen basiert.

Der Bericht beschreibt Stärken und Schwächen bei der Umsetzung der Artikel 26, 31 und 45 des Vertrags, die für Opfer häuslicher Gewalt und für Entscheidungen über Sorge- und Umgangsrecht relevant sind. Zwar hätten alle Vertragsstaaten positive Schritte unternommen, so GREVIO. Leider gebe es aber auch noch großes Verbesserungspotential in der Umsetzung der Konvention. Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt sind und ihre Täter verlassen, sehen sich häufig mit der Bedrohung ihrer Kinder konfrontiert, und der Bericht stellt eine alarmierende Rate von Tötungsdelikten sowohl an Frauen als auch an Kindern fest (s. auch Artikel "Femizid" von Thomas Kischkel in FamRZ 2022, Heft 11).

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Gewalt gegen Frauen: Podcast

Folge 3 des FamRZ-Podcasts "familiensachen" zum Thema "Istanbul-Konvention"

Gast ist Oberstaatsanwältin Sabine Kräuter-Stockton. Als Mitglied in der Expertengruppe GREVIO des Europarates überprüft sie die Umsetzung der Istanbul-Konvention durch die Staaten, die diese ratifiziert haben.

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Fortschritte bei der Umsetzung der Istanbul Konvention

GREVIO berichtet, dass sowohl in Italien als auch in den Niederlanden die Ausübung von Gewalt gegen Frauen in Anwesenheit eines Kindes mit einer Form von Kindesmissbrauch gleichgesetzt wird. In Andorra und Montenegro wird das Miterleben solcher Gewalt dem unmittelbaren Erleben gleichgestellt, und die Gesetzgebung fordert das gleiche Maß an Schutz und Unterstützung durch die staatlichen Stellen. Die andorranische Gesetzgebung definiert Frauen, die Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt geworden sind, sowie ihre minderjährigen Kinder als "Opfer". Sie können soziale, psychologische und medizinische Unterstützung erhalten.

GREVIO begrüßt außerdem eine kürzlich in Spanien erfolgte Änderung von Artikel 156 des Zivilgesetzbuches, durch die das Erfordernis der Zustimmung beider Elternteile für die psychologische Beratung und Unterstützung gemeinsamer Kinder aufgehoben wird. Der Täter kann somit seine Kinder nicht mehr daran hindern, an Beratungsgesprächen teilzunehmen - ein häufiges Hindernis für Kinder, die psychologische Unterstützung erhalten. In einem weiteren positiven Beispiel bietet das dänische Stalking-Zentrum psychologische Unterstützung für Kinder an, die Zeuge der Auswirkungen von Stalking geworden sind. GREVIO lobte auch fünf staatlich finanzierte Kinderhilfszentren in Polen, die 2018 gegründet wurden und von der Stiftung Empowering Children betrieben werden, die missbrauchten Kindern und ihren Erziehungsberechtigten kostenlos psychologische, pädagogische und rechtliche Unterstützung bieten.

 

Sorge- und Umgangsrecht: keine Überprüfung auf häusliche Gewalt

Gemäß der Istanbul-Konvention müssen die Staaten sicherstellen, dass Fälle von häuslicher Gewalt bei Entscheidungen über das Sorgerecht und das Umgangsrecht berücksichtigt werden. Keinen ausdrücklichen Hinweis auf häusliche Gewalt als rechtliches Kriterium bei solchen Entscheidungen fand GREVIO in Albanien, Belgien, Italien, Monaco, Polen, San Marino und Slowenien. Auch in Frankreich, Italien, Montenegro, den Niederlanden, Portugal und San Marino stellte GREVIO fest, dass die Richter die Fälle, die mit der Entscheidung über das Sorgerecht und das Besuchsrecht zusammenhängen, nicht auf häusliche Gewalt überprüfen.

Die Richter führen keine Risikobewertungen durch und verlangen auch nicht die Offenlegung von Risikobewertungen und Sicherheitsplänen, die von Strafverfolgungsbehörden und/oder anderen zuständigen Akteuren erstellt wurden, um diese zu berücksichtigen und das Wohl des Kindes zu bestimmen. In seinem Bericht über Serbien stellte GREVIO zum Beispiel fest, dass die Gesetzgebung den Schaden, den das Miterleben von häuslicher Gewalt für ein Kind hat, nicht anerkennt. Gleiches gelte für Polen. Die Staaten neigten dazu, der Aufrechterhaltung des Umgangs mit beiden Elternteilen um jeden Preis Vorrang einzuräumen, ungeachtet der erlebten Gewalt.

 

Kritik an „Parental Alienation“

Die Verharmlosung von häuslicher Gewalt in familiengerichtlichen Verfahren stehe in engem Zusammenhang mit der zunehmenden Verwendung des Konzepts der "Parental Alienation", so GREVIO. Im Bericht heißt es:

This is despite concerns raised by the scientific community as to its legitimacy as a scientific construct, a syndrome or as a mental disorder. Furthermore, serious concerns have been expressed regarding the recourse to the concept of parental alienation by family courts and child protection services in the context of domestic and family violence, where victims of domestic abuse may have sound reasons to want to limit visitation due to their ex-partners’ violent behaviour and threats to their own and to their children’s safety and in relation to children who have been exposed to domestic violence who refuse to visit their fathers.

Weiter führt GREVIO an, Vorwürfe häuslicher Gewalt könnten sogar gegen Frauen als "Beweis" für Parental Alienation verwendet werden.

Volltext: 3rd General Report on GREVIO’s Activities covering the period from January to December 2021 (engl.)

Quelle: Pressemitteilung des Europarats Ref. DC 124(2022) vom 14.6.2022

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