Sammelung von Rechtssprechungen in Bücher im Regal

Geplante Streichung von Paragraf 219a

- Gesetzgebung

Öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss am 18.5.2022

Am Mittwoch, den 18.5.2022, fand im Rechtsausschuss des Bundestags eine öffentliche Anhörung zur von der Bundesregierung geplanten Abschaffung der Strafbarkeit von Werbung für Schwangerschaftsabbrüche statt. Es äußerten sich folgende Sachverständige:

  • Monika Börding, Bundesvorsitzende des Bundesverbands pro familia
  • Valentina Chiofalo, Netzwerk Doctors for choice Germany
  • Angela Köninger, Klinikdirektorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität Regensburg
  • Michael Kubiciel, Professor für Deutsches, Europäisches und Internationales Straf- und Strafprozessrecht, Medizin- und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Augsburg
  • Kristina Hänel, Ärztin in Gießen
  • Elisa Marie Hoven, Professorin für deutsches und ausländisches Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Medienstrafrecht an der Universität Leipzig
  • Anna Katharina Mangold, Professorin für Europa- und Völkerrecht an der Europa-Universität Flensburg
  • Natascha Sasserath-Alberti, Kommissariat der Deutschen Bischöfe
  • Leonie Steinl, Vorsitzende der Kommission Strafrecht im Deutschen Juristinnenbund (djb)
  • Albrecht Weißbach, Geschäftsführer des Vereins „Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren“

Die Mehrheit unterstützte den Plan zur Abschaffung des Paragraf 219a StGB. Bei den Fragen der Abgeordneten ging es vor allem um die

  • Sicherung der Versorgungslage beim Schwangerschaftsabbruch,
  • die Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte,
  • den Sinn einer möglichen Modifizierung des Paragrafen 219a,
  • den Schutz des ungeborenen Lebens,
  • die Rehabilitierung verurteilter Ärztinnen,
  • die geplanten Änderungen des Heilmittelwerbegesetzes.

 

Abschaffung von § 291a StGB reicht nicht aus

Kristina Hänel hatte die seit Jahren anhaltende und zum Teil heftig geführte Debatte durch ihre Verurteilung wegen Werbung für den Schwangerschaftsabbruch ins Rollen gebracht. Ihre Meinung ist, dass es keinen guten Grund gebe, Frauen, die von ungewollter Schwangerschaft betroffen sind, Informationen vorzuenthalten. Der abzuschaffende Paragraf 219a des Strafgesetzbuches sei eine der Ursachen für die immer schlechter werdende Versorgungslage beim Schwangerschaftsabbruch, erklärte die Ärztin. Gegen ihre Verurteilung und gegen den Paragrafen 219a hat Hänel Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Monika Börding pflichtete Hänel bei. Die Streichung des Paragrafen sei überfällig, reiche jedoch nicht aus. Für eine vollständige Gewährleistung reproduktiver Selbstbestimmung und reproduktiver Gesundheit seien weitere Maßnahmen erforderlich, so Leonie Steinl. Insbesondere müsse der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen verbessert werden. Auch Valentina Chiofalo gab zu Protokoll, dass im Hinblick auf die immer schlechter werdende Versorgungslage deutlich werde, dass der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch weiter abgesichert werden muss. Die jetzigen Defizite seien dabei auf die andauernde Kriminalisierung, Stigmatisierung und Tabuisierung des Schwangerschaftsabbruchs zurückzuführen.

 

Keine „theoretische Angstkulisse“ aufbauen

Eine andere Perspektive bot Frauenärztin Angela Köninger: aus ihrer Sicht seien die in der aktuellen Debatte um den Gesetzentwurf postulierten Missstände in der Information und Versorgung von Frauen im Schwangerschaftskonflikt in der Realität nicht präsent. Zudem stelle 219a nicht den Grund dar, warum Ärztinnen und Ärzte keine Abbrüche anbieten. Grund hierfür sei in fast allen Fällen deren Berufung auf ihr eigenes Selbstbestimmungsrecht.

Natascha Sasserath-Alberti sieht das Werbeverbot als einen wichtigen Bestandteil des gut austarierten Schutzkonzepts des Strafgesetzbuchs und des Schwangerenkonfliktgesetzes für das ungeborene Leben. Sie betonte, dass der Staat eine verfassungsrechtlich gebotene Schutzpflicht für das ungeborene Leben habe. 219a sollte aus diesem Grunde erhalten werden. Dem pflichtete Albrecht Weißbach bei und erklärte, der Bundestag solle nicht nur 219a als Teil des staatlichen Schutzes für die Würde des Menschen betrachten, sondern darüber hinaus Maßnahmen ergreifen, die eine falsche Einordnung von Abtreibungen als „normale“ medizinische Heilbehandlungen verhindern. Die Bundesregierung solle die Lücken beim Schutz von Ungeborenen und ihren Müttern schließen, statt bestehende Schutzvorschriften zu beseitigen.

 

Strafrechts-Experten sind unterschiedlicher Meinung

Elisa Marie Hoven erklärte, dass auch nach der Reform des § 219a StGB weiterhin Handlungen unter Strafe gestellt würden, die keinen Unrechtsgehalt aufwiesen. Die Bestrafung von neutralen Informationen über die Art und Weise von Schwangerschaftsabbrüchen sei verfassungsrechtlich bedenklich. Zudem sei die fortgeltende Bestrafung der sachlichen Information über nicht verbotene berufliche Handlungen für den Schutz des ungeborenen Lebens weder geeignet noch erforderlich. Der Paragraf habe seine Legitimation mit der Entscheidung für die strafrechtliche Zulässigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen verloren.

Dagegen ist für Michael Kubiciel die Streichung des Paragrafen verfassungsrechtlich nicht notwendig, sondern im Gegenteil problematisch. Das Ziel des Regierungsentwurfes, mehr sachliche Informationen zu den Methoden von Schwangerschaftsabbrüchen zu ermöglichen, lasse sich zielgenauer mit einer Änderung des Paragrafen erreichen. Zudem eröffne die Abschaffung Spielräume für „meinungshaltige“ Darstellungen bis hin zur Publikumswerbung. Dies widerspreche der Forderung des BVerfG, der Gesetzgeber müsse dem Eindruck entgegentreten, bei einem Schwangerschaftsabbruch handele es sich um einen „alltäglichen, also der Normalität entsprechenden Vorgang“. Unterschiedlich bewerteten Hoven und Kubiciel auch die geplante Aufhebung von rechtskräftigen Verurteilungen.

Anna Katharina Mangold betonte in ihrem Statement, dass das BVerfG in seiner Rechtssprechung zum Schwangerschaftsabbruch das Werbeverbot an keiner Stelle erwähne, obgleich es im Übrigen alle einschlägigen Strafrechtsnormen gründlich überprüft habe. Es gebe keinen verfassungsrechtlich legitimen Zweck, der die Eingriffe in die Berufsfreiheit der Ärztinnen und Ärzte einerseits, in die Informationsfreiheit der schwangeren Frauen andererseits zu rechtfertigen vermöchte.

 

Quelle: Heute im Bundestag (hib) Nr. 251/2022 vom 19.5.2022

Zurück