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Familienrecht lehnt Entwurf zu Minderjährigenehen ab

- Gesetzgebung

Anhörung des Rechtsausschusses am 3.6.2024

Der Entwurf eines Gesetzes zum Schutz Minderjähriger bei Auslandsehen war Thema einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am Montag. Die Vertreter der Familienrechtswissenschaft lehnten den Entwurf ab, während er von den Sachverständigen aus der Praxis unterstützt wurde. Es äußerten sich die folgenden Expertinnen und Experten:

  • Gerhard Bangert, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Standesbeamtinnen und Standesbeamten (BDS)
  • Rainer Becker, Ehrenvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe
  • Myria Böhmecke, Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes
  • Anatol Dutta, LMU, Schriftleiter und Herausgeber der FamRZ
  • Sophie Funke, Deutsches Institut für Menschenrechte
  • Beate Naake, Kinderschutzbund Bundesverband
  • Bettina Heiderhoff, Universität Münster
  • Katharina Lugani, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
  • Regina Offer, Deutscher Städtetag
  • Gregor Thüsing, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Bangert, Becker und Thüsing waren auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion zur öffentlichen Anhörung eingeladen, Funke und Heiderhoff von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Lugani und Naake von der FDP-Fraktion und Böhmecke, Dutta und Offer von der SPD-Fraktion.

 

Gesetzgeber ignorierte Ratschläge der Familienrechtswissenschaft

Die Familienrechtler raten in Geschlossenheit und mit großem Nachdruck davon ab, den Entwurf so zu verabschieden. Anatol Dutta erklärte, dass der Gesetzgeber bei der Regulierung von Minderjährigenehen von Anfang an die Ratschläge nahezu der gesamten Familienrechtswissenschaft in den Wind geschlagen habe. Die rigide Unwirksamkeitslösung sei ungerecht und entziehe dem bei der Eheschließung Minderjährigen vor allem Rechte und Schutz. Dutta wies darauf hin, dass für Kinder des Paares, die im Zeitraum zwischen Eheschließung und der frühesten Möglichkeit einer Heilung geboren werden, abstammungsrechtliche Folgen fehlen würden.

Bettina Heiderhoff stellte zudem klar, dass Vorgaben des BVerfG zum Schutz der minderjährigen Frau nicht erfüllt würden. Im Gegenteil sei der Entwurf weiterhin sehr günstig für die Ehemänner und helfe den betroffenen Frauen kaum. Als einziges Element zum sozioökomischen Schutz erhalte die Frau einen Unterhaltsanspruch. Doch werde dabei übersehen, dass deutsches Unterhaltsrecht oftmals gar nicht anwendbar sei. Noch schwerer wiege es, dass statt der vom BVerfG verlangten Heilungsmöglichkeit für die Ehefrau nur eine gemeinsame Wiederheirat möglich sein soll. Heiderhoff schlug drei Alternativen vor, mit denen die Frauen weit besser geschützt wären als nach dem vorliegenden Entwurf. Auch Katharina Lugani merkte an, dass der Entwurf die Minderjährigen nur schütze, wenn deutsches Unterhaltsrecht zur Anwendung komme, also nicht auch dann, wenn ein deutsches Gericht zu dem Ergebnis gelange, dass ausländisches Unterhaltsrecht Anwendung findet.

Gregor Thüsing nannte das Gesetz hingegen gelungen. Es gehe richtige Schritte. Es sei auch mit Hinblick auf die Rechtsprechung und eine etwaige Signalwirkung richtig und konsequent, die Ehe mit Minderjährigen grundsätzlich als unwirksam zu behandeln und allein unterhaltsrechtliche Ansprüche zu normieren. Er bemerkte aber, dass sämtliche Fragen und Probleme zur Vaterschaft nicht aufgegriffen worden seien.

 

Praxis unterstützt den Gesetzentwurf mit Einschränkungen

Unterstützung des Gesetzentwurfs kam aus der Praxis: Gerhard Bangert nannte die Einbindung der Heilungsmöglichkeit der unwirksamen Ehe in das Personenstandswesen und die damit vorhandenen Prozesse „mehr als sinnvoll“. Mängel beträfen die standesamtliche Praxis, wie Bangert in seiner schriftlichen Stellungnahme erläuterte. Für die Deutsche Kinderhilfe schaffe die Neuregelung im Hinblick auf den Minderjährigenschutz Rechtssicherheit in wichtigen Punkten, erklärte Rainer Becker. Entscheidend sei, dass durch das neue Gesetz die Gefahr des Verlustes beziehungsweise des Nichtbestehens von Renten-, Unterhalts- und Erbansprüchen, der Nichtehelichkeit aus der Beziehung hervorgegangener Kinder und des Wegfalls des Sorgerechts des Ehemanns für die gemeinsamen Kinder geheilt wird.

Die Ergänzung einer Regelung zum Unterhaltsanspruch und eine Heilungsmöglichkeit, sobald die Volljährigkeit der Ehepartner erreicht ist, sei laut dem Deutschen Städtetag notwendig, so Regina Offer. Mit Blick auf die vorgeschlagene nachträgliche Heilung der Unwirksamkeit der Ehe teile der Deutsche Städtetag die Auffassung, dass eine einzelfallbezogene Lösung so missverstanden werden könnte, als sei die Eheschließung mit Minderjährigen unter bestimmten Umständen doch rechtlich akzeptabel.

 

Für und Wider von Einzelfallprüfungen

Sophie Funke machte deutlich, dass der Entwurf aus kinderrechtlicher Perspektive nicht überzeugen könne. Aus Sicht des Instituts sei das Ziel, Minderjährigenehen zu vermeiden, getrennt von der Behandlung der Wirksamkeit einer nach ausländischem Recht bestehenden Ehe zu betrachten. Solange es ein globales Ehemündigkeitsalter nicht gebe, sei aus kinderrechtlicher Perspektive für die inländische Bewertung einer im Ausland bereits geschlossenen und dort wirksamen Ehe Minderjähriger eine Einzelfallprüfung in einem gerichtlichen Verfahren mit ergänzender und unterstützender Einbeziehung der Kinder- und Jugendhilfe geboten. Zu begrüßen sei, dass der Entwurf einigen der Schutzlücken betreffend Unterhaltsansprüchen zum Schutz der minderjährigen Person und die Möglichkeit der Heilung der Ehe bei Erreichen der Volljährigkeit begegnet.

Myria Böhmecke hingegen bemerkte, dass sich ihre Organisation gegen Einzelfallentscheidungen ausspreche, da diese gerichtliche Verfahren erforderten, die oft mit großen psychischen Belastungen für die betroffenen Mädchen einhergingen. Beate Naake äußerte sich überwiegend positiv zum Entwurf. Gerade in Ehen mit Kindern unter 16 Jahren bestehe oft eine massive finanzielle Abhängigkeit der Minderjährigen, die unbedingt und uneingeschränkt aufgefangen werden müsse. Der Gesetzentwurf erfülle diesen Anspruch deutlich besser als die aktuelle Rechtslage. Auch die Regelung, dass mit Erreichen der Volljährigkeit die Unwirksamkeit geheilt werden kann, halte der Kinderschutzbund für angemessen und fachgerecht.

 

Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen

Der Rechtsausschuss hatte Ende Mai einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zu dem Entwurf beschlossen. Die Änderungen sehen vor,

  • dass der nicht wirksam verheiratete Unterhaltsberechtigte in der Rangfolge einem Ehegatten gleichgestellt wird,
  • dass die Unterhaltsansprüche zugunsten der bei der Eheschließung noch nicht 16-jährigen Person als Unterhaltssachen der Zuständigkeit des Familiengerichts unterfallen,
  • dass die Neuregelungen betreffend Folgen und Heilung unwirksamer Minderjährigenehen innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes evaluiert werden sollen.

In FamRZ 2024, Heft 12 (erscheint am 15.6.2024), wird eine Stellungnahme einer Sonderkommission des Deutschen Rats für Internationales Privatrecht zu dem Referentenentwurf sowie eine Ergänzung zur Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz aufgrund des Regierungsentwurfs v. 14.5.2024 veröffentlicht. Christiane Budzikiewicz und Bettina Heiderhoff schreiben in dieser Ergänzung, dass es „schwer tolerabel“ ist, „dass [die Ablösung des Referentenentwurfs durch den Regierungsentwurf] offenbar weitgehend ohne eine Auseinandersetzung mit den eingeholten Stellungnahmen erfolgte.“ Der Schutz vor der Frühehe sei im Gesetzentwurf gerade in eine Schutzverweigerung für die betroffenen jungen Frauen verkehrt worden.

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Quelle: Heute im Bundestag (hib) Nr. 362 vom 3.6.2024

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