Öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Um die Aufnahme expliziter Kinderrechte in das Grundgesetz ging es in einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Montag. In der vom stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Heribert Hirte (CDU) geleiteten Sitzung wurde die Zielsetzung des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs (BT-Drucks. 19/28138) überwiegend begrüßt. Gleichzeitig machten die Sachverständigen in ihren schriftlichen Stellungnahmen auf eine Reihe ihrer Meinung nach vorhandener Mängel aufmerksam. Gehört wurden:
- Florian Becker von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Lehrstuhl für Öffentliches Recht
- Philipp Donath von der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
- Gregor Kirchhof vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht der Universität Augsburg
- Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks
- Thomas Mayen, Vorsitzender des Verfassungsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins
- Sebastian Sedlmayr vom Deutschen Komitee für UNICEF
- Robert Seegmüller, Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin
- Friederike Wapler vom Lehrstuhl für Rechtsphilosophie und Öffentliches Recht der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Neben dem Regierungsentwurf lagen den sieben Experten und einer Expertin Gesetzentwürfe der Fraktionen FDP, Die Linke Bündnis 90/Die Grünen zu dem Thema vor (BT-Drucks. 19/28440, BT-Drucks. 19/10622, BT-Drucks. 19/10552).
Rechtssystematischer Fehler?
Philipp Donath führte aus, dass der Entwurf seiner Ansicht nach aus völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Perspektive teilweise bedenklich sei. So könnte durch die Aufnahme des ausdrücklichen Kindergrundrechts in das staatliche Wächteramt ein rechtssystematischer Fehler begangen werden. Auch Thomas Krüger kritisierte diesen Aspekt. Die gewählte Verortung der Kinderrechte im Regierungsentwurf inmitten des staatlichen Wächteramts und der Elternrechte sei "misslungen und gefährlich". Es könnte ein argumentativer Anknüpfungspunkt dafür sein, die Kinderrechte in unangemessener und gar nicht beabsichtigter Weise gegen die Eltern zu richten.
Auch Sebastian Sedlmayr regte an, die Verortung der Kinderrechte in den Grundrechtsartikeln des Grundgesetzes nochmals eingehend zu prüfen. Offensichtlich sei, dass eine Engführung der Kinderrechte auf das Verhältnis zu den Eltern dem kinderrechtlichen Rahmen nicht gerecht wird. Das Wesen der Kinderrechte gehe über das innerfamiliäre Verhältnis hinaus.
Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat verändern?
Thomas Mayen führte aus, dass der Entwurf durch die Verwendung des Begriffs der elterlichen "Erstverantwortung" einen Vorrang der Elternrechte nicht nur gegenüber dem staatlichen Wächteramt, sondern auch gegenüber dem Kindeswohl, suggeriere. Dies bleibe hinter der bestehenden Verfassungsrechtslage zurück.
Gregor Kirchhof verwies auf die Entwurfsbegründung, wonach das "bestehende wohl austarierte Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat" nicht zu verändern und die "Elternverantwortung nicht zu beschränken" sei. Der Reformvorschlag diene so dem Kindeswohl.
Robert Seegmüller urteilte in seiner Stellungnahme, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die gewählten Formulierungen Ausgangspunkt für einen zukünftigen Verfassungswandel sein können, der das Verhältnis von Elternrecht und staatlichem Wächteramt aus seiner derzeitigen Balance bringt.
Gesetzentwurf weiter umstritten
Gregor Kirchhof war der Meinung, dass der diskutierte Entwurf der beste Gesetzentwurf zu den Kinderrechten sei, der bisher in den Bundestag eingebracht worden sei. Er erfülle den heiklen verfassungspolitischen Auftrag, die Kinderrechte des Grundgesetzes "besser sichtbar" zu machen, ohne dabei das Verhältnis zwischen Kindern, Eltern und Staat zu verändern.
Friederike Wapler hingegen vertrat die Meinung, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung in der vorliegenden Fassung nicht verabschiedet werden sollte. Er sei der schlechteste Vorschlag von allen. Er löse die selbst gesetzten Regelungsziele nicht ein, werfe mehr Fragen auf, als er beantworte, und bleibe hinter dem Stand der Diskussion zurück. Er scheine das bewährte verfassungsrechtliche Verhältnis von Eltern, Kindern und Staat zwar vordergründig zu bewahren, gefährde es in der Sache aber stärker als jede der alternativ vorgeschlagenen Formulierungen. Es könne durchaus auch eine Lösung sein, auf eine Verfassungsänderung zu verzichten.
Quelle: Heute im Bundestag (hib) Nr. 647 vom 17.5.2021
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