Erste Lesung im Bundestag am 15.4.2021
In erster Lesung befasste sich der Bundestag am 15.4.2021 mit dem Gesetzentwurf zur Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz. Im Anschluss an die 30-minütige Beratung wurde die Vorlage gemeinsam mit einem Gesetzentwurf der FDP zum Thema an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die vorgeschlagene Grundgesetzänderung soll die Grundrechte von Kindern im Text des Grundgesetzes besser sichtbar machen. Kindesspezifische Aspekte wie das Kindeswohlprinzip und das Anhörungsrecht des Kindes sollen im Verfassungstext betont und dadurch die Rechtstellung von Kindern und Familien unterstrichen werden, so heißt es im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur ausdrücklichen Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz. Dieser enthält in Art. 6 II GG folgende Formulierung (neuer Text fett gekennzeichnet):
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.
Ebenfalls heißt es im Entwurf, dass stets zu beachten sei, dass Kinder nicht die einzigen Grundrechtsträger sind. Insbesondere sei es ein Kernanliegen dieser Grundgesetzänderung, das Elternrecht und die Elternverantwortung nicht zu beschränken. Das bestehende wohl austarierte Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat solle durch die Änderung bewusst nicht angetastet werden. Unberührt bleibe damit auch der grundrechtliche Schutz des ungeborenen Lebens, wie er in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung seine Ausprägung gefunden hat.
Der Gesetzentwurf ging aus dem Abschlussbericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe hervor. Er setzt die Einigung auf einen Regelungstext um, welche eine vom Koalitionsausschuss eingesetzte Arbeitsgruppe am 12.1. erzielt hatte. Die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz wurde im Koalitionsvertrag vereinbart.
Gesetzentwurf der FDP
Auch die Liberalen wollen die Bedeutung und Bedürfnisse von Kindern stärker im Grundgesetz hervorheben, ohne dabei „das austarierte Verhältnis zwischen Kindern, Eltern und Staat zu verändern“ (BT-Drucks. 19/28440). Die FDP schlägt deshalb vor, Art. 6 GG um einen Absatz 1a zu ergänzen. Im Wortlaut:
Jedes Kind hat das Recht auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit. Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, besonders zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, entsprechend seinem Alter und seiner Reife einen Anspruch auf rechtliches Gehör.
Außerdem schlagen die Liberalen eine Neufassung des Art. 5 vor, der die Gleichstellung von unehelichen und ehelichen Kindern regelt. Ziel sei es, auch andere Ungleichbehandlungen mit einzubeziehen, heißt es in dem Entwurf. Künftig solle der Artikel deshalb wie folgt lauten: „Kinder dürfen nicht aufgrund der rechtlichen Beziehungen ihrer Eltern zueinander unterschiedlich behandelt werden“.
Gesetzentwurf der Grünen
Kinder seien Grundrechtsträger, schreibt die Fraktion in ihrem Gesetzentwurf (BT-Drucks. 19/10552). Der in Art. 6 festgelegte besondere Schutz der staatlichen Ordnung beziehe sich zwar auf Ehe und Familie, nenne aber Kinder nicht ausdrücklich. Auch das Kindeswohl werde im Grundgesetz nicht erwähnt, sei aber nach der Rechtsprechung des BVerfG oberste Richtschnur der Elternverantwortung und diene dazu, die primäre Elternverantwortung vom Wächteramt des Staates abzugrenzen.
Nach Ansicht der Grünen fehlt auch eine Vorgabe, dass die zunehmende Selbstbestimmungs- und Beteiligungsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen zu beachten ist. Und es fehle ein ausdrückliches Recht des Kindes auf Förderung seiner Entwicklung. Damit bleibe das Grundgesetz hinter den Standards der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen zurück. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes habe die Bundesregierung bereits dreimal aufgefordert, Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen.
Es sei daher Zeit, dass im Grundgesetz eine starke Subjektstellung von Kindern verankert wird, um aufgrund der Bindung von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung an das Grundgesetz eine stärkere Kindeswohlorientierung und entsprechende Reformen zu befördern, schreiben die Abgeordneten.
Bericht des Rechtsausschusses
Zur Debatte stand außerdem ein Bericht nach § 62 II der Geschäftsordnung des Bundestages, den der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zum Gesetzentwurf der Grünen vorgelegt hat (BT-Drucks. 19/27883). Die Grünen schlagen darin die „Ergänzung des Artikels 6 zur Stärkung der Kinderrechte“ (BT-Drucks. 19/10552) vor. Der Bericht informiert über den Beratungsstand des Entwurfs im Ausschuss. § 62 II der Geschäftsordnung berechtigt eine Fraktion – oder auch ein Fünftel der Abgeordneten –, einen solchen Bericht beim federführenden Ausschuss einzufordern, wenn nach der ersten Lesung mindestens zehn Sitzungswochen vergangen sind. Die Initiative der Grünen wurde erstmals am 6.6.2019 im Plenum beraten.