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Datenerhebung zur Zeitverwendung von Familien: Öffentliche Anhörung

Gesetzentwurf stößt auf breite Zustimmung von Fachleuten

Die Bundesregierung möchte für die Erhebung statistischer Daten zur Zeitverwendung eine eigene gesetzliche Grundlage schaffen (BT-Drucks. 19/26935). Dieses Vorhaben ist bei einer Expertenanhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Montagnachmittag auf breite Zustimmung gestoßen.

An der Anhörung nahmen folgende Experten teil:

  • Ruth Abramowski vom SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik an der Universität Bremen
  • Antje Asmus vom Deutschen Frauenrat
  • Christina Boll vom Deutschen Jugendinstitut
  • Martin Bujard vom Verein Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie
  • Sebastian Heimann vom Deutschen Familienverband
  • Michaela Kreyenfeld, Soziologin an der Hertie School of Governance
  • Heike Wirth vom Mannheimer GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften

Kritik gab es an der Ausgestaltung des Gesetzentwurfes - vor allem an der vorgesehenen Beibehaltung des Zehn-Jahres Turnus, in dem die Erhebungen bislang als „Bundesstatistiken für besondere Zwecke nach dem Bundesstatistikgesetz“ durchgeführt wurden. Eine deutliche Mehrheit sprach sich während der Anhörung für eine Erhebung alle fünf Jahre aus.

 

Zehnjahreszeitraum zu lang

Ruth Abramowski betonte, Zeitverwendungserhebungen lieferten nicht nur relevante Erkenntnisse über zeitliche Gestaltungsspielräume, sondern seien auch eine äußerst zentrale Datenbasis für die Messung des Wohlstandes von Bevölkerungen. Den Zehnjahreszeitraum zwischen den Erhebungen sei zu lang. Christina Boll pflichtete ihrer Vorrednerin bei: Seltene Messzeitpunkte erschwerten deshalb zum einen den Ländervergleich auf europäischer sowie auf internationaler Ebene. Zum anderen sei die Evaluation von Politikreformen mithilfe dieser Daten nahezu unmöglich.

Fünf Jahre, „besser noch zwei Jahre“, sollten aus Sicht von Martin Bujard vom Verein Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie höchstens zwischen den Erhebungen liegen. Für einen zehnjährigen Rhythmus seien die Entwicklungen zu dynamisch, sagte er. Bujard sprach sich zudem für die Erhebung in Form einer Panelstruktur, „das heißt mit Wiederholungsbefragungen“, aus. So könnten die Veränderungen innerhalb von Familien - als Folge von Kindergeburt aber auch in Folge politischer Maßnahmen - besser nachvollzogen werden.

Nur Heike Wirth hält eine Periodizität von zehn Jahren für richtig. Aus ihrer Sicht müssten bei einer Erhebung alle fünf Jahre Abstriche in der Datenqualität hingenommen werden. Im Übrigen sei durch die Verordnungsermächtigung in dem Gesetz die Flexibilität gegeben, bei erkennbarem Bedarf die Periodizität anzupassen.

 

Verteilung der Care-Arbeit erfragen

Die Expertinnen und Experten monierten auch noch andere Lücken im Gesetzentwurf: zum Beispiel bei den Erhebungsmerkmalen. Es brauche eine Präzisierung der unbezahlten „Care-Arbeit“, die zumeist von Frauen ausgeübt werde, so Ruth Abramowski. Auch die Auslagerung der Care-Arbeit an Frauen, „die sich in noch prekäreren Verhältnissen befinden“, müsse erfasst werden, forderte sie mit Verweis auf mehr als 500.000 „informell und überwiegend schwarz beschäftigte Pflegemigranten“ in Deutschland, die in keiner amtlichen Statistik auftauchen würden.

Hier setzte auch Antje Asmus an: Sie nannte die Darstellung der Verteilung von bezahlter und unbezahlter Zeit zwischen Frauen und Männern „für die Entwicklung gleichstellungspolitischer Maßnahmen unerlässlich“. Zeitverwendungserhebungen stellten mit ihren Daten zu unbezahlter Haus- und Sorgearbeit auch wichtige Ergänzungen zu der klassischen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dar, die sich primär auf Wohlstand und Wertschätzung der Produktion von Waren und Dienstleistungen fokussiere. Der Bedarf an repräsentativen Zeitbudgeterhebungen zur Verteilung der Sorgearbeit sei während der Corona-Krise noch dringender geworden, befand Asmus. Es seien Frauen und vor allem Mütter, die während der Pandemie den größeren Anteil der zusätzlich anfallenden Sorgearbeit übernehmen und ihre Erwerbsarbeitszeiten dafür reduzieren, sagte die Frauenrats-Vertreterin.

 

Lebenswirklichkeiten von Trennungseltern und Mehr-Kind-Familien

Michaela Kreyenfeld begrüßte die Integration einer neuen Frage zum „Kontakt zu eigenen Kindern, die nicht im Haushalt leben“ und dass damit erstmalig auch haushaltsübergreifende Informationen zu Kindern erhoben werden. Doch sie bemängelte, dass die Zeitverwendungsstudie in der vorgesehenen Form die Lebenswirklichkeiten von Trennungseltern und -kindern nicht hinreichend abbilden kann. Dass etwa Trennungsväter durch die Regelung nicht identifiziert würden, sei „mehr als bedauerlich“. Als unzureichend bewertete auch Christina Boll den Versuch, im Bereich der Nachtrennungsfamilien mit der Erfassung der Kontakthäufigkeit zu außerhalb des eigenen Haushalts wohnenden Kindern, elterliche Zeitinvestments einzufangen.

Sebastian Heimann regte eine Ergänzung an: die Berücksichtigung von kinderreichen Familien „als gesellschaftlich und demografisch besonders bedeutsame Gruppe“. Der Entwurf berücksichtige alleinerziehende Mütter und Väter durch überproportionale Auswahlsätze besonders. Dies müsse auch für die Gruppe der Mehr-Kind-Familien unbedingt sichergestellt werden. Kinderreiche Familien seien schließlich überproportional von Armut gefährdet und sähen sich verstärkten Herausforderungen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gegenüber, sagte Heimann.

Weitere Handlungsbedarf sieht auch Heike Wirth, und zwar in Bezug auf

  • die Messung der Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb des Haushalts,
  • die Erfassung von Kontakten von außerhalb der Haushalte lebenden Eltern und Kindern,
  • den Erwerbsstatus.

Wichtig sei es zudem, bei der Quotierung der Haushalte explizit darauf zu achten, „dass die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen mit einem ausreichend hohen Umfang in der Stichprobe vertreten ist“.

Quelle: Heute im Bundestag (hib) Nr. 335/2021 vom 15.3.2021

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