Sammelung von Rechtssprechungen in Bücher im Regal

Bilanz der Vormundschaftsrechtsreform

Öffentliches Fachgespräch des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Mehr Zeit für die ihnen anvertrauten Kinder, weniger Fälle pro Vormund und eine bessere Qualifikation der in dem Bereich Tätigen - unter anderem darauf komme es bei der Umsetzung des kürzlich reformierten Vormundschaftsrechts an. So äußerten sich die Sachverständigen und Betroffene in einem öffentlichen Fachgespräch des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 17.4.2023 zum Thema: „Kinder unter Vormundschaft: Baustellen und Weiterentwicklungsbedarf der Vormundschaftsrechtsreform im BGB und SGB VIII“. Teilnehmer der Anhörung waren:

  • Heike Berger (Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein e. V.)
  • Katharina Lohse, Leiterin des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF)
  • Judith Pammler-Klein, Familienrichterin am Amtsgericht Kiel und Fachkoordinatorin für Familienrecht in Schleswig-Holstein
  • Jana Paul und Daline Raphael vom Verein Careleaver e.V.
  • Ruth Seyboldt vom Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V.
  • Dr. Ulrike Urban-Stahl von der FU Berlin

 

Familiengerichte: hohe Belastung und viel zu wenig Zeit

Judith Pammler-Klein wies darauf hin, dass es an den Familiengerichten in Bezug auf die Reform noch viel zu tun gebe: So habe die Vormundschaftsreform zu einer erhöhten Belastung der Rechtspfleger geführt, deren Verantwortungsbereich ausgedehnt worden sei. Die Drei-Monats-Frist zur Bestellung eines endgültigen Vormundes sei angesichts der Länge des Hauptsacheverfahrens viel zu kurz.

Während die Reform den Jugendämtern erhöhte Ermittlungs- und Darlegungspflichten auferlegt habe, entscheide das Familiengericht über die Person des Vormunds in der Regel nach nur einem Termin - viel zu wenig Zeit, um sich einen grundlegenden Eindruck zu verschaffen. Andererseits führe die deutliche Ausweitung der Anhörung von Kindern durch eine Vielzahl fremder Personen zu einer hohen Belastung oder „Anhörungsmüdigkeit“ der Kinder, die ihre Geschichte immer wieder neu erzählen müssten, berichtete Pammler-Klein.

 

Betroffene machten unterschiedlichste Erfahrungen

Jana Paul und Daline Raphael berichteten über ihre persönlichen Erfahrungen mit einer Vormundschaft als junge Menschen. Jana Paul machte gute Erfahrungen mit ihrer Vormundin. Sie habe während ihrer gesamten Kindheit bis zu ihrem 18. Lebensjahr eine zentrale Rolle gespielt, sie in ihrer Pflegefamilie mehrmals pro Jahr besucht. Sie habe ihre Entscheidung bei der Familienwahl akzeptiert, ihr geholfen, traumatische Erlebnisse zu bewältigen und alles in Bewegung gesetzt, damit sie auch nach einem Wechsel des zuständigen Jugendamtes ihre Vormundin habe bleiben können. „Ich bin ihr sehr dankbar“, sagte Paul.

13 verschiedene Pflegefamilien hatte Daline Raphael, die von den Schwierigkeiten erzählte, gehört zu werden. Ihre Vormünder hätten keine Zeit gehabt, eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Die politischen Reformvorhaben dauerten zudem länger als eine Kindheit. Die Erwachsene hätten die Macht, aber keinen Bezug zu den ihnen anvertrauten Kindern. Es sei immer zu wenig Zeit, die Fallzahlen pro Betreuer zu hoch. „Bei mir wurde immer alles genehmigt.“ Außer dem Wunsch, mit ihrer Schwester zusammenzuziehen. Man müsse vor allem den Gedanken der Teilhabe fördern und die Qualifikation der Vormünder verbessern, forderte Raphael.

 

Vormünder brauchen Unterstützung, Qualifikation und Weiterbildung

Die Reform des Vormundschaftsrechts setze richtige und wichtige Impulse, so Ulrike Urban-Stahl. Die Wahl des Vormundes richte sich heute stärker nach dem Willen des Kindes; die Rechte des Kindes stehen im Mittelpunkt. Der Vormund sei gehalten besser mit den Erziehungspersonen zusammenarbeiten. Es bestehe Bedarf, die im Vormundschaftsbereich Tätigen fachlicher weiter zu qualifizieren. „Hier liegt eine echte Chance zur Stärkung der Vormundschaft“, sagte Stahl.

Ruth Seyboldt betonte, Kinder bräuchten Vormünder, die sich aktiv für sie einsetzen. Um ihrer anspruchsvollen Aufgabe gerecht zu werden, brauche es für ehrenamtliche Vormünder entsprechende Schulungen und Qualitätskriterien. Der Vormund müsse sich mit einer breiten Palette an Themen und Fachgebieten, von der Entwicklungspsychologie bis zu pädagogischer Kompetenz, auskennen und das ihm anvertraute Kind in allen Lebenslagen begleiten. Zudem seien die Kinder und Jugendlichen an den sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen. Die Kinder bräuchten Kontinuität statt allzu viele Betreuungspersonen, vor allem bei Ortswechseln. In der Reform stecke großes Potenzial, sie müsse aber in der praktischen Umsetzung begleitet und gestaltet werden, so Seyboldt.

 

Bessere finanzielle Ausstattung von Vormundschaftsvereinen und Jugendämtern gefordert

Heike Berger plädierte dafür, das Potenzial der Vormundschaftsvereine zu nutzen. Diese verfügten über viel Kompetenz und Erfahrung, um eine kinderrechtsbasierte Vormundschaft zu gewährleisten. Es müsse jetzt darum gehen, die Vereine finanziell besser auszustatten. An die Stelle minutengenauer Abrechnung müsse eine verlässliche Pauschale pro Fall treten, die Finanzierung müsse dynamisiert werden, forderte Berger. Wegen der mangelhaften Finanzierung würden kaum Vereine neu gegründet. Außerdem müsse es für die Vereine möglich sein, sich – wie das Jugendamt – vom Gericht bestellen zu lassen, statt einzeln pro Fachkraft.

Ohne die Jugendämter sei eine gute Vormundschaft nicht denkbar, ja „der beste Vormund ist oft das Jugendamt“, sagte Katharina Lohse. 80 Prozent aller Vormundschaften seien Amtsvormundschaften. An dieser Zahl werde sich trotz der Zielsetzung, die ehrenamtliche Vormundschaft zu stärken, nur langsam etwas ändern. Oft könne schlicht kein ehrenamtlicher Vormund gefunden werden. Und der ehrenamtliche Vormund könne auch nur durch das Jugendamt ausgewählt, vorbereitet und beaufsichtigt werden. Bei der sinnvollen Stärkung des Ehrenamtes bleibe das Jugendamt der zentrale Akteur in Vormundschaftsverfahren. Damit die Jugendämter diese anspruchsvolle Aufgabe gut erfüllen könnten, müssten diese finanziell ausreichend ausgestattet werden und deren Mitarbeiter fachlich gut qualifiziert werden, betonte Lohse.

 

Quelle: Heute im Bundestag (hib) Nr. 268 v. 18.4.2023

Die Video zum Fachgespräch auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw16-pa-familie-vormundschaft-939400

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