Sammelung von Rechtssprechungen in Bücher im Regal

Abschaffung der Kostenheranziehung in der Jugendhilfe

Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die von der Bundesregierung geplante Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe wird von Sachverständigen unterschiedlich beurteilt. Bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Montagnachmittag nahmen folgende Sachverständige teil.

  • Maike Brummelman, Christliches Jugenddorfwerk Deutschland (CJD)
  • Juliane Meinhold, Paritätischer Gesamtverband
  • Sebastian Hainski, Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit
  • Marie Hesse, Bayerisches Landesjugendamt
  • Josef Koch, Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen
  • Laurette Rasch, Verein Careleaver
  • Gila Schindler, Fachanwältin für Sozialrecht
  • Michael Wagner, Jugendamtsleiter in Memmingen (Baden-Württemberg)
  • Jörg Freese, Deutscher Landkreistag

Sie bezeichneten das Vorhaben mehrheitlich als richtiger Schritt. Jedoch würden jene jungen Menschen davon nicht profitieren, die eine Berufsausbildung für Menschen mit Behinderung oder eine geförderte Ausbildung über das Arbeitsamt beziehungsweise das Jobcenter absolvieren oder in einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme sind. Die Kritik anderer Sachverständiger an dem Entwurf zielte darauf ab, dass damit eine Verselbständigung der Jugendlichen erschwert werde und sie teils bessergestellt würden als Jugendliche, die eine Ausbildung machen und im Elternhaus leben.

 

Gedanken der Inklusion gerecht werden

Maike Brummelman sprach von einem wichtigen Schritt auf dem Weg zur gleichberechtigten Teilhabe „des betroffenen Personenkreises“. Um dem Gedanken der Inklusion gerecht zu werden, sei es aber geboten. „für alle jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe Benachteiligungen abzuschaffen“. So sieht es auch Juliane Meinhold: Wer eine Berufsausbildung für Menschen mit Behinderung oder eine geförderte Ausbildung über das Arbeitsamt oder Jobcenter absolviert oder in einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme sei, erhalte keine sozialversicherungspflichtige Ausbildungsvergütung, sondern eine Netto-Unterhaltszahlung. Diese werde als Ausbildungsgeld bezeichnet und zur Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfeleistung herangezogen.

Auch Gila Schindler sprach diese Regelungslücken an. Ob und in welcher Höhe das gewährte „Ausbildungsgeld“ angerechnet wird, werde von den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe unterschiedlich bewertet. Die Betroffenen seien so einem Gefühl der behördlichen Willkür ausgesetzt, das für junge Menschen regelmäßig noch viel schwerer zu ertragen sei, als für lebenserfahrenere Personen.

 

Kinder- und Jugendliche in Jugendhilfe nicht bestrafen

Die Möglichkeit, finanzielle Rücklagen für den Übergang in ein eigenständiges Leben und eine sichere Existenz zu bilden, müsse für alle jungen Menschen und für jede Form von Einkommen gelten, forderte Sebastian Hainski. Es brauche eine Entbürokratisierung der Kinder- und Jugendhilfe, „sodass benötigte Hilfe auch wirklich bedingungslos und bedürfnisorientiert bei allen jungen Menschen in unserer Gesellschaft ankommt“.

Josef Koch stimmte dem Gesetzentwurf und seinen Zielsetzungen vollumfänglich zu. Die Heranziehung bestrafe Jugendliche und junge Erwachsene dafür, in der Jugendhilfe zu sein, befand er. Koch verwies zugleich darauf, dass die Hauptgründe für eine Unterbringung Jugendlicher und junger Erwachsener in einem Heim oder bei einer Pflegefamilie eine Gefährdung des Kindeswohls sowie eine Unterversorgtheit der jungen Menschen sei. Davon zu reden, dass die Unterbringung wie in einem Ferienhaus bei freier Kost und Logis erfolge, sei angesichts der massiven Belastungen und Benachteiligungen dieser jungen Menschen falsch.

Vor dem Hintergrund der besonderen Biografien und der Lebensbedingungen, die ursächlich für das Aufwachsen in stationärer Jugendhilfe waren, sei die Kostenheranziehung eine weitere Hürde und keine Unterstützung zur selbständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung, befand Laurette Rasch. Kostenheranziehung in jeder Form widerspräche auch dem im Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) verankerten Inklusionsgedanken, demzufolge die Regelungen der Kinder- und Jugendhilfe gleichermaßen für junge Menschen mit und ohne Behinderungen gelten und diese unterstützen sollen.

 

Absenkung der Kostenheranziehung auf 25 Prozent ausreichend

Aus Sicht von Marie Hesse kann die Abschaffung der Kostenheranziehung durchaus eine Motivation der jungen Menschen zur Aufnahme von Erwerbstätigkeiten darstellen. Für die Jugendämter sei damit auch eine Verwaltungsvereinfachung verbunden. Allerdings, so Hesse weiter, sei die Kostenheranziehung geeignet, um junge Menschen darauf vorzubereiten, ihr Einkommen im Hinblick auf Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung einzuteilen. Falle dies künftig weg, müsse von einem zusätzlichen pädagogischen Bedarf ausgegangen werden.

Ähnlich argumentierte Michael Wagner. Die Kostenabschaffung erschwere die Verselbständigung der jungen Menschen. Erst wenn sie aus der stationären Jugendhilfe hinaus und in die erste eigene Wohnung ziehen, würden sie lernen müssen, dass das verdiente Geld zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhaltes verwendet werden müsse. Auch könne der Anreiz, den Schritt in ein selbstständiges Leben zu wagen, damit reduziert werden, gab er zu bedenken.

Als Vertreter der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände räumte Jörg Freese ein, dass die Haltung in den Kommunen zu dieser Fragestellung nicht einheitlich sei. „Weit überwiegend“ werde aber die Komplettabschaffung abgelehnt. Der nicht zu leugnenden insgesamt schwierigen Lebenssituation der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der stationären Jugendhilfe oder in Pflegefamilien werde bereits durch die Absenkung der Kostenheranziehung auf 25 Prozent ausreichend Rechnung getragen.

 

Quelle: Heute im Bundestag (hib) Nr. 528/2022 vom 10.10.2022

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