Sammelung von Rechtssprechungen in Bücher im Regal

Italienische Privatscheidungen und Brüssel IIa-VO

Schlussanträge des Generalstaatsanwalts Collins in der Rs. C-646/20

Am 5.5.2022 hat Generalstaatsanwalt Anthony Collins dem Gerichtshof der Europäischen Union seine Schlussanträge in der Rechtssache C‑646/20 vorgelegt. Der BGH hatte dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung gestellt. Dabei geht es um die automatische Anerkennung einer in einem nichtgerichtlichen Verfahren nach italienischem Recht erwirkten einvernehmlichen Scheidung in Deutschland.

 

Ehe in Deutschland geschlossen, in Italien geschieden

Frau TB besitzt die deutsche und die italienische Staatsangehörigkeit. Sie heiratete 2013 in Berlin standesamtlich Herrn RD, einen italienischen Staatsangehörigen. Das Standesamt in Berlin beurkundete diese Eheschließung im Eheregister. Die Ehe wurde 2017 vor dem Zivilstandsbeamten in Parma (Italien) auf der Grundlage von Art. 12 des italienischen Decreto legge Nr. 132/2014 aufgelöst. Frau TB beantragte daraufhin beim Standesamt in Berlin, diese Scheidung im Eheregister zu beurkunden. Das Standesamt legte die Sache dem Amtsgericht zur Entscheidung vor, welches entschied, dass für die Beurkundung der Scheidung im Eheregister ihre Anerkennung nach dem Verfahren des § 107 Abs. 1 FamFG erforderlich sei.

Gegen den Beschluss hat Frau TB Beschwerde beim Kammergericht eingelegt. Dieses gab der Beschwerde statt und wies das Standesamt in Berlin an, die Scheidung ohne weiteres Verfahren im Eheregister zu beurkunden. Gegen die Entscheidung des KG (Beschluss v. 28.4.2022 - 1 VA 2/22) hat die Senatsverwaltung für Inneres und Sport, die für die Aufsicht über die Standesämter zuständige Behörde, Rechtsbeschwerde zum BGH eingelegt.

 

BGH: es handelt sich um eine Privatscheidung

Der BGH neigte der Auffassung zu, dass es sich bei der in Italien ausgesprochenen Scheidung um eine Privatscheidung handele, die nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO falle. Nur eine von einer Behörde ausgesprochene Scheidungsentscheidung, die konstitutive Wirkungen habe, könne den „schwächeren Ehegatten“ vor den Nachteilen einer Scheidung schützen, da der Entscheidungsträger die Entscheidung ablehnen könne. Ein rein formelles Tätigwerden eines Zivilstandsbeamten, der nicht befugt sei, die Bedingungen der Scheidung zu ändern, könne diesen Schutz nicht bieten. Eine solche Scheidungsentscheidung stelle daher keine „Entscheidung“ im Sinne der Brüssel IIa-VO dar.

Vor diesem Hintergrund hat der BGH beschlossen, das Verfahren auszusetzen. Er hat dem Gerichtshof zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt (FamRZ 2021, 119, m. Anm. Claudia Mayer {FamRZ-digital | FamRZ bei juris}, und Anm. Bargelli, FamRZ 2021, 214 {FamRZ-digital | FamRZ bei juris}).

 

Collins: Anwendbarkeit der Brüssel IIa-VO

Unter anderem will der BGH wissen, ob die Brüssel IIa-VO die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine bei einer Eheauflösung auf der Grundlage von Art. 12 des italienischen Decreto legge Nr. 132/2014 erlassene Scheidungsentscheidung ohne weitere Voraussetzungen anzuerkennen. Generalstaatsanwalt Collins schlägt dem Gerichtshof vor, dies zu bejahen, da es sich bei der vorliegenden Eheauflösung nicht um eine Privatscheidung handelt, die aus dem Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO fällt.

Die Auflösung einer Ehe in einem gesetzlich geregelten Verfahren, bei dem

  • beide Ehegatten vor einem Zivilstandsbeamten jeweils persönlich erklären, dass sie sich scheiden lassen wollen,
  • der Zivilstandsbeamte dieses Einvernehmen mindestens dreißig Tage später in ihrer Anwesenheit bestätigt,

nachdem dieser festgestellt hat,

  • dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Auflösung der Ehe erfüllt sind (Ehegatten haben keine minderjährigen Kinder und keine volljährigen geschäftsunfähigen, schwerbehinderten oder wirtschaftlich unselbständigen Kinder haben),
  • dass die Vereinbarung zwischen ihnen keine Regelungen über die Übertragung von Vermögenswerten enthält,

sei eine Scheidungsentscheidung im Sinne der Brüssel IIa-VO.

Zur Rechtslage nach der neuen Brüssel IIb-VO: Dutta, Privatscheidungen und Brüssel IIb: drei Fragen an den neuen Art. 65 Abs. 1, FamRZ 2020, 1428 {FamRZ-digital | FamRZ bei juris}.

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