Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.10.2017
Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe muss einem Kind einen seinem individuellen Bedarf entsprechenden Betreuungsplatz nachweisen. Versäumt er dies, muss er gleichwohl die Aufwendungen für einen selbstbeschafften Betreuungsplatz nicht übernehmen, wenn diese Kosten von dem Kind bzw. seinen Eltern auch bei rechtzeitigem Nachweis zu tragen gewesen wären. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 26.10.2017 entschieden (BVerwG 5 C 19.16).
Mutter lehnte freie Plätze bei Tagespflegepersonen ab
Die Mutter des im August 2011 geborenen Klägers zeigte bei der Landeshauptstadt München, der Beklagten, an, dass der Kläger ab dem 1. April 2014 einen Vollzeitbetreuungsplatz benötige. Daraufhin wies ihr die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe Ende Januar 2014 freie Plätze bei insgesamt sechs Tagespflegepersonen nach. Die Mutter des Klägers lehnte die Plätze ab, weil diese entweder zu früh schließen würden oder an einem Tag nicht geöffnet seien.
Am 5. Februar 2014 meldeten die Eltern des Klägers diesen in einer privaten Tageseinrichtung an. Auf der Grundlage des Betreuungsvertrages wurde der Kläger ab dem 1. April 2014 in dieser Einrichtung in einem Umfang von 40 Wochenstunden frühkindlich gefördert. Dafür war ein Beitrag von monatlich 1.380 € zu entrichten. Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Erstattung eines Teils des entrichteten Beitrags abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil teilweise aufgehoben und insoweit dem Grunde nach Aufwendungsersatz zugesprochen. Das Bundesverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt.
Kein Recht auf Wahl zwischen Tageseinrichtung und Kindertagespflege
Ein Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für einen selbstbeschafften Platz in einer Kindertageseinrichtung könne grundsätzlich aus einer entsprechenden Anwendung des § 36a Abs. 3 Satz 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) folgen. Voraussetzung dafür sei, dass
- der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung rechtzeitig über den Bedarf in Kenntnis gesetzt hat,
- die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung vorgelegen haben
- die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.
Dies hat das Bundesverwaltungsgericht bereits mit Urteil vom 12. September 2013 (BVerwG 5 C 35.12) entschieden.
Die Voraussetzungen dieses Anspruchs waren hier erfüllt. Kinder, die das erste Lebensjahr vollendet haben, haben gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bis zur Vollendung ihres dritten Lebensjahres Anspruch darauf, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ihnen einen ihrem Bedarf entsprechenden Betreuungsplatz nachweist. Ein Recht, zwischen dem Nachweis eines Platzes in einer Tageseinrichtung und in Kindertagespflege zu wählen, besteht hingegen ebenso wenig wie ein Wahlrecht zwischen einem Platz in einer Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Trägers und einer Betreuung in einer privaten Einrichtung. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist bundesrechtlich nicht verpflichtet, dem Kind einen kostenfreien oder zumindest kostengünstigen Betreuungsplatz nachzuweisen. Ob der im Fall seiner Inanspruchnahme zu entrichtende Beitrag im Einzelfall finanziell zumutbar ist, ist nicht Gegenstand des Nachweisverfahrens.
Zumutbarkeit der Beitragshöhe nicht Gegenstand des Verfahrens
Zwar darf der von § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII verliehene Anspruch auf eine möglichst optimale Kinderbetreuung nicht dadurch gefährdet oder gar vereitelt werden, dass die Inanspruchnahme der nachgewiesenen Betreuungsstellen mit unzumutbaren finanziellen Belastungen verbunden wäre. Der Gesetzgeber hat sich aber dafür entschieden, dass die finanzielle Zumutbarkeit erst in einem eigenständigen Verfahren nach § 90 Abs. 3 und 4 SGB VIII zu prüfen ist. Danach soll u.a. ein in einer privaten Einrichtung zu entrichtender Teilnahmebeitrag ganz oder teilweise von dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung dem Kind und den Eltern nicht zuzumuten ist. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung ist dem Zweck des Anspruchs auf Betreuung nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII mit besonderem Gewicht Geltung zu verschaffen.
Obwohl die Selbstbeschaffung hier zulässig war, kann der Kläger nicht die Übernahme eines Teiles des für die Nutzung der gewählten Tageseinrichtung entrichteten Beitrags verlangen. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe muss nur diejenigen Aufwendungen für einen selbstbeschafften Betreuungsplatz übernehmen, die der Leistungsberechtigte im Falle des rechtzeitigen Nachweises nicht hätte tragen müssen. Hätte die Beklagte dem Kläger den von diesem beschafften Betreuungsplatz nachgewiesen, hätte sie ihrer Nachweispflicht mit der Folge genügt, dass der Kläger den vereinbarten Teilnahmebeitrag ebenfalls hätte entrichten müssen. Ob dieser Beitrag hinsichtlich der Höhe zumutbar war oder nach § 90 Abs. 3 SGB VIII (teilweise) zu übernehmen gewesen wäre, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Vorinstanzen:
VGH München, 12 BV 15.719 - Urteil vom 22. Juli 2016 -
VG München, 18 K 14.2448 - Urteil vom 21. Januar 2015 –
Quelle: Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts Nr. 73/2017 vom 27.10.2017