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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen fachgerichtliche Entscheidung zur Entlassung einer Mutter als Betreuerin

Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 31.3.2021 – 1 BvR 413/20

Mit heute veröffentlichtem Beschluss v. 31.3.2021 (Az.: 1 BvR 413/20) hat das Bundesverfassungsgericht eine fachgerichtliche Entscheidung in einem betreuungsrechtlichen Verfahren aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Die Beschwerdeführerin und Mutter der Betreuten setzte sich gegen eine fachgerichtliche Entscheidung zur Wehr, mit der ihre Entlassung als Betreuerin bestätigt wurde. Die Entscheidung verletze die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG, so das BVerfG. Das Landgericht habe die Bedeutung und Tragweite der persönlichen Beziehung und familiären Bindung der Beschwerdeführerin als Mutter zu ihrer Tochter für die Entscheidung über die Entlassung der Beschwerdeführerin als Betreuerin ihrer Tochter verkannt. Ebenso wurde dem Wunsch der Tochter, von ihrer Mutter betreut zu werden, nicht genug Bedeutung beigemessen.

 

Betroffene wünschte sich ausdrücklich ihre Mutter als Betreuerin

Die 1992 geborene Tochter der Beschwerdeführerin leidet an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Für sie wurde 2014 eine Betreuung eingerichtet und ihre Mutter, die Beschwerdeführerin, als Betreuerin für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge einschließlich hiermit verbundener Aufenthaltsbestimmung bestellt. In den Jahren 2018 und 2019 wurde die Betroffene mehrmals auf Antrag der Beschwerdeführerin jeweils kurzzeitig in der geschlossenen Abteilung des örtlichen psychiatrischen Krankenhauses untergebracht.

Ein vom Amtsgericht eingeholtes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass eine weitere Unterbringung zur Heilbehandlung und zur Abwendung einer akuten Eigengefährdung dringend erforderlich sei. Der Gutachter empfahl eine geschlossene Unterbringung für mindestens sechs Monate, wobei ein Orts- und Betreuerwechsel der Betroffenen möglichst nicht zugemutet werden solle. Dagegen empfahl die Betreuungsbehörde einen Betreuerwechsel hin zu einem unvorbelasteten, familienfremden Berufsbetreuer. Die behandelnden Ärzte sprachen sich in zwei schriftlichen Stellungnahmen ebenfalls für einen Betreuerwechsel aus. Es bestehe eine innerfamiliäre Dynamik, die für die Betroffene ausschließlich kontraproduktiv wirke.

Das Amtsgericht entließ daraufhin entgegen dem ausdrücklichen Wunsch der Betroffenen die Beschwerdeführerin als Betreuerin ihrer Tochter und bestellte eine Berufsbetreuerin. Auf Antrag der Berufsbetreuerin genehmigte das Amtsgericht die Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses sowie nachfolgend in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Heimes. Aufgrund dieses Beschlusses befand sich die Betroffene von September 2019 bis April 2020 in einer von dem Wohnort der Beschwerdeführerin circa 120 km entfernten psychiatrischen Einrichtung.

Die gegen ihre Entlassung als Betreuerin gerichtete Beschwerde der Beschwerdeführerin wies das LG zurück. Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde.

 

Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt

Diese hat Erfolg. Dazu führt das BVerfG zunächst aus, dass Art. 6 Abs. 1 GG eine wertentscheidende Grundsatznorm für das gesamte die Familie betreffende private Recht enthalte. Der Schutz des Familiengrundrechts erfasse auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern. Dem Schutz der Familie sei auch bei der Bestellung einer Betreuerin Rechnung zu tragen. Art. 6 Abs. 1 GG gebiete eine bevorzugte Berücksichtigung der (nahen) Familienangehörigen jedenfalls dann, wenn eine tatsächlich von familiärer Verbundenheit geprägte engere Bindung bestehe.

Das LG habe dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Familie unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen nicht hinreichend Rechnung getragen. Die Entlassung der Beschwerdeführerin als Betreuerin ihrer Tochter wurde mit fehlender Eignung und dem entgegenstehenden Wohl der Betroffenen begründet. Eine fördernde krankheitsgerechte Behandlung der Betroffenen sei in der Vergangenheit nicht erkennbar gewesen. Den Grund hierfür sieht das LG in erster Linie in dem Rollenkonflikt, in dem sich die Beschwerdeführerin befinde.

Die Betrachtung der Mutter-Tochter-Beziehung erfolgte dabei jedoch einseitig im Hinblick auf den bisherigen Verlauf der Behandlung der Betroffenen, so das BVerfG. Es werde nicht deutlich, dass

  • dem Wert der familiären Beziehungen,
  • dem innerfamiliären Zusammenhalt,
  • der Familie als Schutzraum der Betroffenen

darüber hinaus Bedeutung beigemessen wurde. Das LG durfte insbesondere das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht unberücksichtigt lassen, der sich ausdrücklich gegen einen Betreuer- und Ortswechsel ausgesprochen hatte.

 

Sorgfältige Abwägung bei Beurteilung der Eignung als Betreuerin

Darüber hinaus habe das LG dem Umstand nicht hinreichend Rechnung getragen, dass die Betroffene mehrfach ausdrücklich den Wunsch geäußert hatte, ihre Mutter als Betreuerin zu behalten. Der Vorrang des Willens der Betreuten bei der Auswahl der Betreuerin ist Ausdruck des grundrechtlich verbürgten und umfassenden Selbstbestimmungsrechts betreuungsbedürftiger Personen. § 1897 Abs. 4 S. 1 BGB ermöglicht nur in Ausnahmefällen die Bestellung einer anderen als von der Betreuten gewünschten Person, wenn die Befolgung des Wunsches der Betreuten deren Wohl zuwiderläuft.

Dem Wunsch der Betreuten ist dann nicht zu folgen, wenn die von ihr gewünschte Person als Betreuerin nicht geeignet ist im Sinne des § 1897 Abs. 1 BGB. Die mangelnde Eignung darf jedoch nicht vorschnell angenommen werden, um eine andere, aus Sicht des Gerichts besser geeignete Person zur Betreuerin zu bestellen. Insbesondere, wenn die Gründe für die fehlende Eignung in der familiären und möglicherweise über einen langen Zeitraum gewachsenen Beziehung der Betreuten zu der als Betreuerin gewünschten Person wurzeln, ist unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG eine sorgfältige Abwägung erforderlich.

Bei der erneuten Entscheidung über die Entlassung der Beschwerdeführerin als Betreuerin ihrer Tochter werde einerseits der Wunsch der Betroffenen, ihre Mutter als Betreuerin zu behalten, ebenso zu beachten sein wie das enge Familienverhältnis der Beschwerdeführerin zu ihrer Tochter. Andererseits werde zu berücksichtigen sein, dass ein jüngeres Gutachten eine professionelle Betreuung − wenn auch in Kooperation mit dem familiären Umfeld der Betroffenen − für vorteilhaft erachtet.

Eine ausführlichere Urteilsbegründung lesen Sie in der Pressemitteilung Nr. 37/2021 des BVerfG vom 12.5.2021.

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