Eltern scheitern vor EuGHMR
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am 10.1.2019 im Fall Wunderlich ./. Deutschland (Beschwerde Nr. 18925/15) entschieden, dass keine Verletzung von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) vorliegt. Den Antragstellern, einem deutschen Ehepaar, wurden von deutschen Gerichten vorübergehend Teile der elterlichen Sorge entzogen und die Kinder fremduntergebracht, nachdem die Eltern sich beharrlich geweigert hatten, ihre Kinder zur Schule zu schicken, weil sie ihre Kinder zu Hause selbst beschulen wollten. Der Gerichtshof stellte fest, dass die von den deutschen Behörden vorgenommenen sorgerechtlichen Maßnahmen in diesem Fall gerechtfertigt waren und die Rechte der Eltern daher nicht verletzt wurden.
Sorgerechtsentzug zur Durchsetzung der Schulpflicht
Die Beschwerdeführer sind deutsche Staatsangehörige und Eltern von vier Kindern. Sie weigerten sich ab 2005 vehement, ihre Kinder zur Schule zu schicken, weil sie diese ausschließlich selbst beschulen wollten. Zwangsgelder der Schulbehörden zahlten sie, schickten die Kinder aber weiterhin nicht in eine Schule. Im September 2012 entzog das Familiengericht Darmstadt den Eltern Teile der elterlichen Sorge. Begründet hat das Gericht seine Entscheidung in erster Linie damit, dass die beharrliche Weigerung der Eltern, ihre Kinder in die Schule zu schicken, die Kinder daran hindere, Teil der Gemeinschaft zu werden und soziale Fähigkeiten wie Toleranz zu erlernen.
Die Kinder wurden zwischen August und September 2013 für 3 Wochen in einer Einrichtung der Jugendhilfe fremduntergebracht und besuchten dann 2013 und 2014 die Schule. Obwohl die Eltern anschließend die Kinder wieder aus der Schule nahmen, übertrug das OLG Frankfurt/M. im August 2014 - abgedruckt in FamRZ 2014, 1857 {FamRZ-digital | FamRZ bei juris} - den Eltern das Sorgerecht wieder zurück. Die zwischenzeitlich erfolgte Lernbewertung habe gezeigt, dass der Wissensstand der Kinder nicht alarmierend sei. Im Gegensatz zum August 2013 können nun außerdem nachgewiesen werden, dass vom Vater kein Risiko für die körperliche Unversehrtheit der Kinder ausgehe. Unter Berufung auf Art. 8 EMRK reichten die Eltern Beschwerde beim EuGHMR gegen die Entscheidungen der deutschen Gerichte ein. Sie beanstandeten v.a. die Maßnahme, ihnen Teile des Sorgerechts zu entziehen, die gewaltsame Herausnahme der Kinder aus ihrem Haushalt und deren dreiwöchige Unterbringung in einer Jugendhilfereinrichtung.
Entscheidungsgründe „relevant und ausreichend“
Der Gerichtshof stellte am 10.1.2019 fest, dass der teilweise Sorgerechtsentzug zwar einen Eingriff in das Recht der Antragsteller auf Achtung des Familienlebens darstellte. Gleichzeitig sei die Durchsetzung der Schulpflicht aber ein „relevanter und ausreichender“ Grund, um den Sorgerechtsentzug zu rechtfertigen. Nach Auffassung des Gerichts hatten die inländischen Behörden Grund zu der Annahme, dass die Beschwerdeführer ihre Kinder dadurch gefährdeten, dass sie sie nicht in die Schule schickten und stattdessen innerhalb eines „symbiotischen“ Familiensystems selbst unterrichteten. Auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen hätten die inländischen Behörden angenommen, dass die Kinder isoliert waren, und keinen Kontakt zu jemandem außerhalb der Familie hätten. Da die Eltern eine Lernbewertung ihrer Kinder verweigerten, hätten auch keine weiteren Informationen eingeholt werden können.
Die tatsächliche Herausnahme der Kinder aus dem Haushalt der Eltern hätte erst stattgefunden, nachdem sich die Eltern lange Zeit beharrlich geweigert hatten, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Die Trennung habe nicht länger als nötig gedauert und sei nicht in unverhältnismäßiger Art und Weise umgesetzt worden. Die inländischen Behörden hätten daher ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Interessen der Kinder und denen der Eltern hergestellt. Es sei dementsprechend kein Verstoß gegen Art. 8 EMRK festzustellen.
Den Volltext der Entscheidung des Gerichtshofes finden Sie in englischer Sprache auf dessen Website.
Quelle: Pressemitteilung (englisch) des EuGHMR vom 10.1.2019