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Mehr Rechte für leibliche Väter zur Vaterschaftsanfechtung

Bundesverfassungsgericht, Urteil v. 9.4.2024 – 1 BvR 2017/21

Die gesetzliche Regelung über das Recht des leiblichen Vaters, die rechtliche Vaterschaft eines anderen Mannes für sein Kind anzufechten (§ 1600 Abs. 2 Alt. 1, Abs. 3 S. 1 BGB) ist mit dem Grundgesetz unvereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht heute entschieden (Az.: 1 BvR 2017/21). Die Regelung trage dem Elterngrundrecht leiblicher Väter nicht hinreichend Rechnung.

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, das Gesetz bis spätestens 30.6.2025 zu ändern. Einen Vorschlag hat das BMJ mit dem Eckpunktepapier zum Abstammungsrecht bereits präsentiert. Mehr zum Eckpunktepapier erfahren Sie im Artikel von Tobias Helms: Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Abstammungsrechts in FamRZ 2024, 489 {FamRZ-digital | }.

Zum Weiterhören: Im aktuellen "Einspruch"-Podcast der FAZ (Folge #295) spricht FamRZ-Herausgeber Prof. Dr. Tobias Helms über das Urteil des Bundesverfassungsgericht.

 

Vaterschaftsanfechtung blieb zunächst erfolglos

Der Beschwerdeführer ist feststehend leiblicher Vater eines 2020 nichtehelich geborenen Kindes. Mit der Mutter des Kindes führte der Beschwerdeführer eine Beziehung und lebte auch mit ihr in einem Haushalt. Nach der Trennung der Mutter von dem Beschwerdeführer hatte dieser weiterhin Umgang mit seinem Kind. Die Mutter ging eine neue Beziehung ein. Nachdem der Beschwerdeführer einen Antrag auf Feststellung seiner Vaterschaft gestellt hatte, erkannte der neue Partner der Mutter die Vaterschaft für das Kind mit ihrer Zustimmung an und ist so dessen rechtlicher Vater geworden.

Im Anfechtungsverfahren hat das Oberlandesgericht in zweiter Instanz den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung, er und nicht der rechtliche Vater sei Vater des Kindes, als unbegründet abgewiesen. Die Vaterschaftsanfechtung des Beschwerdeführers scheitere an der inzwischen bestehenden sozial-familiären Beziehung des neuen Partners der Mutter und rechtlichen Vaters zu dem Kind. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG gewährleisteten Elternrechts. § 1600 Abs. 2 und 3 BGB in seiner Anwendung durch das Gericht mache es ihm als leiblichem Vater unmöglich, die rechtliche Vaterschaft für das Kind zu erlangen.

 

Elterngrundrecht steht nicht-rechtlichen leiblichen Vätern zu

§ 1600 Abs. 2 Alt. 1, Abs. 3 S. 1 BGB ist mit Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG unvereinbar, so das BVerfG. Da der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts auf der Anwendung dieser Regelung beruht, verletze er den Beschwerdeführer in seinem Elterngrundrecht. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG schütze das als solches durch den Staat zu achtende Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Dieses Grundrecht stehe leiblichen Vätern von Kindern auch dann zu, wenn sie nicht deren rechtliche Väter sind. § 1600 Abs. 2 Alt. 1, Abs. 3 S. 1 BGB trage den Anforderungen an das Elterngrundrecht leiblicher Väter nicht hinreichend Rechnung und beeinträchtige dieses, ohne dass dies verfassungsrechtlich gerechtfertigt sei.

Das Elterngrundrecht bedürfe einer Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Er kann dabei — abweichend vom bisherigen Recht im BGB — die rechtliche Elternschaft des leiblichen Vaters neben der Mutter und dem rechtlichen Vater vorsehen. Hält er dagegen an einer Beschränkung der rechtlichen Elternschaft auf zwei Elternteile fest, muss zugunsten des leiblichen Vaters ein hinreichend effektives Verfahren zur Verfügung stehen, das ihm ermöglicht, anstelle des bisherigen rechtlichen Vaters selbst rechtlicher Vater seines Kindes zu werden. Letzterem genügt das bisherige Recht vor allem deshalb nicht, weil es nicht erlaubt, eine bestehende oder vormalige sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem leiblichen Vater sowie dessen bisherige Bemühungen um die rechtliche Vaterschaft zu berücksichtigen.

Die wesentlichen Erwägungen des Senats lesen Sie im Detail in der Pressemitteilung des Gerichts. Die für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärte Regelung in § 1600 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 BGB über die Vaterschaftsanfechtung bleibt bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 30.6.2025, in Kraft.

 

Quelle: Pressemitteilung Nr. 35/2024 des BVerfG vom 9.4.2024

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